Feel the inner spirit and follow your heart – oder wie auch im scheinbar Einfachen Tiefe verborgen liegt

Ich gebe zu: zeitgenössische Dichtung lese ich kaum – außer vielleicht die von Bjarne Mädel (und die auch nur, weil ich sie geschenkt bekommen habe). Die von Bjarne Mädel hat mich nicht umgehauen, aber er schreibt auch selbstironisch im Klappentext: „Es ist wirklich wie ein Fluch, jeder Promi schreibt ein Buch. […] Am besten noch in Reimen, da lachen ja die Kälber. Oh Gott… ich mach’s ja selber.“

Und so gestehe ich weiter: unter zeitgenössischen „afrikanischen“ Gedichten habe ich mir etwas sehr modernes vorgestellt, Texte, die kaum zu verstehen sind, Aneinanderreihungen von Wörtern, die ohne Vorwissen kaum zu erschließen sind – so wie einige zeitgenössische Plastiken auch nicht unbedingt leicht zugänglich sind. Ich war mal auf einem Science Slam, aber der hat nichts mit Poetry zu tun und ich habe bei „Poetry“ nicht an Slam gedacht. So war ich bei den folgenden Zeilen doch ziemlich enttäuscht: „I just wanna love her like the moon loves the sea, […] like the sun to the trees, and just like the trees to the sun i should reach up to wherever she was so we could touch and be one.“ Sie erinnerten mich an die 8. Klasse, in der Liebesgedichte das Thema waren und jede*r Schüler*in selbst auch Gedichte verfassen musste.

Diese Zeilen entstammen dem Gedicht „I wanna love her“ von JJ Bola aus der Zusammenstellung seiner Gedichte in Refuge – the collected poetry of JJ Bola. Es ist eines der ersten von 35 Gedichten, die 2018 bei OWN IT! Entertainment Ltd erschienen sind. Je mehr ich gelesen habe, desto mehr habe ich verstanden und desto weniger plump erschienen mir Bolas Verse. Mit jedem weiteren Gedicht, alle zwischen ein bis drei Seiten lang, wird das Bild kompletter, wird die Botschaft klarer und: ich beginne den Flow zu spüren. Ich verstehe: es sind keine klassischen Gedichte, es sind meist Raps, welche erfolgreich versuchen abzubilden, was kaum abbildbar ist: die Botschaft des Lebens, den Lebenssinn, Gesellschaftskritik, Machtstrukturen, dein Gegenüber Mitmensch, Schwester und Bruder werden lassen, Liebe leben über den Tod hinaus, Schmerz und Leid überwinden und transformieren. Für diese Themen Worte finden, ist eine Kunst und ich gebe zu: JJ Bola beherrscht sie! In einem Dreizeiler bringt er auf den Punkt, was manche Vorträge über Ungleichbehandlung und Diskriminierung nicht vermögen klar zu machen, die aber nach dem Tod von George Floyd medial in ein ganz anderes Licht gerückt werden: „Cops and robbers – „our kids cannot play this game, when lying dead on the floor is practice“.

Bola arbeitet mit Oxymora und bringt zur Sprache, was uns alle beschäftigt, die universellen Lebensthemen kommen zum Beispiel in „live“ zum Ausdruck, was wir alle wissen, wird durch die Gedichtform unaufdringlich aber direkt formuliert: „people should take days off work more often and spend them watching the clouds and looking up at the sky, wondering how and why we came to be.“

Mir gefällt es, wie Bola die Übergänge zwischen dem Erfassbaren zur unsichtbaren Welt gestaltet, wie er von seiner Großmutter berichtet, die in Lingala zu ihm spricht, was er nicht versteht. Die Oma, die Bola nicht mehr bewusst kennengelernt hat, begleitet ihn, er weiß: Ohne Vergangenheit, keine Zukunft und wie das Unerklärliche uns alle umgibt, uns gedeihen lässt – „something beautiful“.

Einige Gedichte scheinen gezielt an eine bestimmte Leser*innenschaft gerichtet zu sein, wie „real men“. Bola will aufrütteln, das Klischee vom starken Mann nicht nur hinterfragen, sondern verändern, er appelliert an die „weiche Seite“ in jedem Menschen, daran Gefühle zuzulassen, sie auszuleben, aber nicht auf Kosten anderer. Aus meiner Sicht haben diese Appellgedichte einen seltsamen Beigeschmack, sie erscheinen etwas belehrend, als wollten sie rührig machen. Darum geht es ihm wohl auch, ich halte es nicht immer für gelungen, weil sie Klischees bedienen und doch bin ich berührt. Bola hat mich erreicht.

Insgesamt ist Bolas Gedichtband auf jeden Fall lesenswert und sollte viel bekannter gemacht werden.

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