I had a dream – zwischen Traum und Traum

Irgendwann träumt jeder Mensch. Das passiert mal im Schlaf oder am Tage. Woher kommen unsere Träume? Wer macht sie? Entscheiden wir denn selbst, was unser Traum diese Nacht sein wird? Wer entscheidet, was unser Lebenstraum wird? (Ist alles nicht so einfach.)

José Eduardo Agualusa gibt in seinem zeitgenössischen Roman „Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer“ auch nicht alle Antworten auf diese tiefgründigen Fragen. Was er seiner Leserschaft gibt, ist eine Kulisse am Anfang des 21. Jahrhundert in Angola, das nach mehreren blutige Bürgerkriegen immer noch undemokratisch regiert wird, das Porträt eines einheimischen Journalisten, der gerade frisch geschieden ist, und die Beobachtung seltsamer Phänomene, die von vielen Menschen im Schlaf erfahren wurden.

Der Roman liest sich ziemlich entspannt. Der Leser bleibt im Fluss, wird nicht von komplexen logischen Rätsel außerhalb des Geschriebenen unterbrochen oder irregeführt. Vielleicht sollte man angesichts der recht komplexen Figurenkonstellation ein paar Namen der Hauptakteure notieren, um den Zusammenhang bei den Szenenwechseln oder längerem Ausbleiben einer Figur schneller wieder hervorrufen zu können. Der Autor lässt einen auch nicht alleine ratlos im Dunkeln stehen, wenn es um mysteriöse Phänomene geht oder um die historischen Ereignisse in Angola, die nicht so bekannt sind. Zusätzlich befinden sich im Buch zahlreiche Hintergrundinformationen, wenn die eine oder der andere es noch genauer etwas wissen möchte. Auf diese Informationen kann, muss man aber für eine gewinnbringende Lektüre nicht zugreifen. Der Spannungsbogen wird gut gehalten und zwingt immer weiter zu lesen bis zu der großen Auflösung am Ende des Buches.

Die persönliche Ebene der Scheidung des Protagonisten Daniel Bachimol und seines Verhältnisses zur Ex-Frau sowie zu der erwachsenen Tochter, bleibt die meiste Zeit im Hintergrund und belastet den Leser nicht unnötig. Viel mehr konzentriert sich der Autor auf de geschichtlich-politischen Kontext und vermischt das mit Phantastischem an der Grenze zwischen Mystery und Science-Fiction. Dazu kommen einige interessante philosophische Dialoge, die wie der ganze Text mit gelungener Ironie und Sarkasmus durchdrungen sind. Im Laufe des Buches vermischen sich die Ebenen und so wird das Persönliche und Mysteriöse immer mehr politisch.

Die wichtigsten Werte, die der Autor vermittelt, sind die Freiheit des Menschen, der notwendige Widerstand gegen eigene Ängste, ein Glaube an die neue junge Generation, die eine bessere Zukunft für das Land schaffen kann.

Der Roman von Agualusa ist grundsätzlich für das breite Publikum empfehlenswert. Eine zusätzliche Anerkennung wird er bestimmt von politisch interessierten Lesern erhalten, sowie diejenigen, die gerne mehr über das postkoloniale Afrika im Allgemeinen und Angola im Besonderen erfahren möchten.

Träume von Widerstand

„Wenn Träume nach dem Aufwachen noch Sinn ergeben, dann ist man in Wirklichkeit noch nicht wach.“ (S.63, Schneeflocke in Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer)

Es ist erstaunlich, wie der angolanische Autor und Journalist José Eduardo Agualusa gekonnt anhand verschiedener Generationen und einer Gruppe von Bekannten, Verwandten und Freunden einen Einblick und ein Einfühlen in die Geschichte Angolas schafft. Mit seinem kritischen Blick und der Fähigkeit die verschiedenen Stimmen der Bevölkerung widerzuspiegeln, wird er als einer der bedeutendsten Gegenwartsautoren für afrikanische und portugiesischsprachige Literatur bezeichnet.

Auf das Symbol des Traums und der Welten der Träume zurückgreifend, gelingt es ihm, in Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer, politischen Ereignissen und dem Trauma einer ganzen Nation eine mythische Dimension zu verschaffen. Gelesen in der deutschen Übersetzung, war der Gebrauch eines zum Teil lyrischen Schreibstils in einem Roman zu Beginn sehr ungewohnt. Agualusa schafft es jedoch das lesende Publikum schon nach wenigen Kapiteln durch anhaltende Spannung in seinen Bann zu ziehen. Wechsel von Erzählerperspektiven und den sich immer wieder wandelnden Informationen zu bereits vermeintlich beantworteten Fragen, geben dem Buch insgesamt die Dynamik und Rastlosigkeit, die auch die erzählenden Charaktere durchleben. Tagebucheinträge durchbrechen den Lesefluss und geben direkten Einblick in Erlebnisse und Vergangenheit der Figuren. So wird dem Publikum auch ein Einblick in die Zeit des Bürgerkriegs Angolas und seiner traumatischen Folgen für die Bevölkerung gewährt. Das Wandeln verschiedener Protagonist*innen durch Träume, geteilte Träume und der Traum einer Revolution, der durch das Aufbrechen durch die aktivistische Tochter der Hauptfigur des Romans gelebt wird, lassen Realität und Traumwelt zwar verschwimmen, schwächen jedoch nicht die Aussage der Erzählung ab. Um Träume, auch als Wünsche, Visionen oder Utopien zu sehen, sind mithin Willenskraft und Ausdauer essenziell, um Veränderung bewirken zu können. Ein wortwörtlich kollektiv geträumter Traum führt im Roman, wie aber auch in jeder Revolution zur Mobilisierung. Die gemeinsame Vision verbindet, auch wenn die Vergangenheit jeder Person und ihre Motivation im Leben unterschiedlich sein mögen. Der Roman schafft Einblick in die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und politischen Seiten des Angola vorm fiktiven Sturz des Präsidenten. Ein kritischer Journalist hat mit einer durch ihren Vater in der Politik klar konservativ positionierten Frau ein Kind. Die Tochter entwickelt sich zu einer Aktivistin, welche mit anderen jungen Leuten zum Sturz des Präsidenten führt und einmal mehr symbolisch für die politischen Spannungen steht. Dies ist eine grobe Beschreibung des roten Fadens, welcher sich insbesondere entlang der Wahrnehmung des geschiedenen Vaters zieht und selber die Funktion erfüllt im Verlauf der Geschichte diverse Nebenakteure in die Handlung einzuführen. Hinzugefügt werden muss an diesem Punkt, dass der Roman nicht historisch, sondern fiktional vorgeht. Somit sind nicht alle historisch anmutenden Informationen auf Angola übertragbar.

Trotz der teilweise schwierig nachzuvollziehenden und teils verwirrenden Handlungen, wird ein sehr deutliches und nachspürbares Bild davon kreiert, welche Auswirkungen politische Spannungen und Willkür auf Individuen, wie auch die gesamte Bevölkerung haben können. Die immer wieder in die Geschichte eingebauten Träume, ermöglichen Lesenden kurze Pausen von den Wirren und der Unruhe der Handlung.

Die Sprache der deutschen Übersetzung betreffend, gibt es jedoch anzumerken, dass der Begriff „Mulatte“/ „Mulattin“ im Roman ausgeschrieben und weder kursiv, noch in Anführungszeichen, noch mit Anmerkung des Übersetzers, unkommentiert, stehen gelassen wurde. Problematisch ist dies, da der Begriff im Portugiesischen durchaus zur Alltagssprache gehört, im Deutschen jedoch im historischen Kontext und im Hinblick auf seine Bedeutung ein beleidigender Begriff ist. Aufklärung über Verwendung und Bedeutung von kritischen Begriffen insbesondere bei Übersetzungen aus anderen Sprachen, sollten bei aktuellen und neuen Romanen inzwischen selbstverständlich sein.

Zu empfehlen ist der Roman dennoch. Gelesen werden kann er auch von Menschen ohne Vorkenntnisse zur angolanischen Geschichte, da das Buch eine Übersicht politischer Ereignisse und Begriffe enthält, sowie eine Karte Angolas mit den genannten Städten/Orten. Ebenso ist dieses Werk Leser*innen zu empfehlen, die für ungewohnte Schreibstile offen und an politischer Literatur interessiert sind.

José Eduardo Agualusa hat mit seinem neusten Werk wundervolle Arbeit geleistet, er verschafft dem Träumen wieder einen Platz und Wichtigkeit in einer Welt, in der es viel zu oft vergessen wird.

„Es ist unser Traum!“

José Eduardo Agualusa  ist ein weltweit bekannter und gefeierter Autor. Als Schriftsteller und freier Journalist wohnt er abwechselnd in Portugal, Angola und Brasilien. Der gebürtige Angolaner wurde 1960 in der Stadt Huambo geboren. Er studierte später Agrarwissenschaft und Forstwirtschaft in Lissabon, Portugal. Seine Werke umfassen Romane, Kurzgeschichten und Lyrikbände. Diese wurden mittlerweile in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Er gewann mehrere Literaturpreise, unter anderem, für sein Werk O Vendedor de Passados [dt. Titel Das Lachen des Geckos, übers.: Michael Kegler, A1 Verlag, München, 2008]. Dieser Roman (den er sogar in Berlin schrieb) erhielt 2007 von der britischen Zeitung ‚The Independent‘ den Preis für das beste ausländische Werk.

Der Fokus von Agualusa’s Werken liegt auf den Eigenarten afrikanischer Merkmale, wie diese in Europa und Brasilien auftreten und in der Gesellschaft gesehen werden.

Auch, wie afrikanischer Merkmale in Europa und Brasilien auftreten und in der Gesellschaft gesehen werden. Geschichte und Fantasie bestimmen seine Bücher. Er erzählt historisch und teils realistisch mit einem Touch von Fantasie. Er stellt das Groteske in die Gesellschaft und deutet auf die Naivität dieser hin. Denn die Figuren der Geschichte nehmen das Absurde an, ohne es wirklich wahrzunehmen.

Kommen wir nun zum Roman ‚Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer‘, ein Text, der die Ängste, Hoffnungen und Vorahnungen eines Menschen widerspiegelt. Ein Mensch auf der Suche nach etwas Bestimmten. Diese Suche ist dennoch tiefer verankert als die Wirklichkeit es zulässt, nämlich in den Träumen.

Der Roman spielt in den Jahren 2015/16 Angolas mit Erinnerungen an den Bürgerkrieg. Er bezieht sich auf die Ereignisse von 2015 und fiktionalisiert diese. Seien es die Regierungskritischen Jugendlichen hinter Gittern oder die langen Schatten der Partei nach dem Bürgerkrieg.

Gleich zu Beginn des Romans lernt Daniel Benchimol den ehemaligen Soldaten Hossi kennen. Hossi hat viel Erfahrung mit Träumen gesammelt und erzählt über die damalige Verbindung von Träumen, Kontrolle und Spionage:Die Leute träumten von mir, wenn ich in der Nähe war…Träume genau wie das Leben sei, nur ohne die große Lügen des Lebens.“ Daniel träumt viel und ist verwirrt, dennoch glaubt er daran, dass die Träume eine größere Bedeutung haben. Er findet Anhänger dieses Glaubens, Moira und Helío. Zusammen planen sie Großes, ein Traumlabor: Wir müssen dem Traum seinen praktischen Nutzen zurückgeben., denn, Viele Erinnerungen, die wir vergessen glaubten, kehren im Traum zurück. Das sind Aussagen, die diese Gruppe verbindet und zu selbständigen ‚Traumforschern‘ macht.

Agualusa kritisiert die Politik und die Gesellschaft zu der Zeit. Er macht Andeutungen über Rassismus und beschwert sich über das repressive staatliche System mit Sätzen wie: Dass man in einem Drittweltland geboren ist, merkt man daran, dass man mehr Angst vor der Polizei hat als vor Verbrechern.

Von den 17 Aktivisten im Roman ist eine Daniel’s Tochter Karinguiri. Sie kämpft mit den anderen für ein freieres, gerechteres und demokratischeres Land, jedoch mit den dramatischen Folgen der Internierung, die in einen Hungerstreik münden. Das Regime wird im Roman als ein schwaches dargestellt, was Karinguiri’s Worte unterstreichen: Wieso also fürchtet ihr Euch vor einem Regime, das schon zittert, wenn sieben Jugendliche, die absolut keine Macht haben, ihre Stimme erheben? Mit „Euch“ meint sie die Bevölkerung und will diese dazu auffordern „mitzukämpfen“, ohne Angst.

Die Geschichte wechselt oft zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sowie zwischen der Perspektive von Daniel und Hossi. Die Textanteile des Letzteren sind poetisch gestaltet worden und grandios zu lesen. Ebenso gefallen mir die einzelnen Theorien über die Träume, die erwähnt werden. Ich selber bin interessiert an der Traumwelt und fand es spannend die Träume auf verschiedenen Ebenen zu betrachten. Träume aus der Vergangenheit und Zukunft sowie Träume im Zusammenhang mit Gefühlen und Erinnerungen. Die Geschichte ist wie ein Puzzle, das man zusammensetzen muss. Außerdem blieben bestimmte Zitate von den Figuren des Romans bei mir hängen, die ich gerne mitnahm. Ein Buch voller Emotionen und Lebensweisheiten. Ein Roman voller Unterhaltung, der im Gedächtnis bleibt und den man gerne ein zweites Mal liest.

Träume von Freiheit

Der 1960 in Angola geborene Autor José Eduardo Agualusa hätte dieses Jahr Headliner auf dem African Book Festival in Berlin sein sollen – das Festival wurde wegen der Corona-Pandemie abgesagt. 2019 ist auf Deutsch sein neuer Roman Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer erschienen. Die Erschließung des Romans ist eine Aufgabe, die sich gar nicht so leicht gestaltet; der poetisch-politische Roman erfordert durchaus Konzentration beim Lesen. Obwohl Agalusa als bekanntester Schriftsteller Angolas gilt wurden bisher erst fünf Bücher ins Deutsche übersetzt, was daran liegen mag, dass der in Portugal, Angola und Brasilien lebende Autor fest in seiner Mutter- und Literatursprache Portugiesisch beheimatet ist.

Der Roman rankt sich um verschiedene Kerngeschichten: beim eigentlichen Ich-Erzähler, der alle anderen Figuren miteinander verbindet, handelt es sich um den soeben geschiedenen Journalisten Daniel Benchimol aus Huambo in Angola. Sein in die Machenschaften der Regierung verwickelter Schwiegervater mochte seine regimekritischen Schriften nicht und so wird man direkt eingeführt in das Thema des Romans: die unverarbeitete jüngste Vergangenheit des südwestafrikanischen Staates, der zwar 1975 nach der Nelkenrevolution in Portugal Unabhängigkeit von der ehemaligen Kolonialmacht erlangte, dann aber bis 2002 in blutige Bürgerkriege zwischen verschiedenen Befreiungsbewegungen versank. Der Präsident José Eduardo dos Santos regierte von 1979 bis 2017 totalitär, bis er sich schließlich nicht mehr zur Wiederwahl aufstellen ließ. Der politische Hintergrund wird in dem 2015 spielenden Gegenwartsroman direkt und indirekt verarbeitet: der Präsident bleibt zwar namenlos, der Roman ist aber einer realen Gruppe Jugendlicher um den Rapper Luaty Beirão gewidmet, denen die Vorbereitung eines Staatsstreiches zur Last gelegt wurde.

Diese starke Stimme der Jugend übernimmt im Roman Benchimols Tochter Lúcia/ Karinguiri. Sie wächst nach der Scheidung in Portugal im Wohlstand auf, kehrt jedoch als Jugendliche nach Angola zurück und tritt in die Fußstapfen ihres Vaters – auf eine radikalere und weniger versponnene Art und Weise. Nachdem sie mit einer Gruppe Videos gegen die Diktatur ins Netz gestellt und den Präsidentenpalast gestürmt hatte, werden alle rebellierenden jungen Menschen festgenommen. Karinguiri bleibt jedoch – als echte Wiederstandkämpferin gezeichnet – selbst im Gefängnis mutig und konsequent im Glauben an eine neue, nicht korrupte und totalitäre Regierung und begibt sich schließlich mit ihren Mitstreiter*innen in einen lebensbedrohlichen Hungerstreik. Dieser spannendste Erzählstrang löst sich erst auf den letzten Seiten des Romans auf.

Daniel Benchimol selbst fährt regelmäßig in ein Hotel am Meer, der Hotelier Hossi ist sein Freund. In Hossi´s Hotel findet Benchimol am Strand eine Kamera – und folgt der Frau auf dem Film, der in Südafrika lebenden Künstlerin Moira Fernandes, in die er sich verliebt. Erst mit der Zeit erfährt die Leserschaft, dass Hossi Ex-Guerillakämpfer der UNITA (Nationalen Union für die Völlige Unabhängigkeit Angolas) ist und einst grausame Foltermethoden anwendete. Die allumfassende Grausamkeit des Krieges, auch innerhalb der Befreiungsbewegungen, sowie die Traumata der Vergangenheit, die Amnesien hervorrufen und in die Gegenwart hineinwirken, wird durch die Figur des Hossi anschaulich porträtiert.

Reale und politisch-historische Erlebnisse und der Kampf um Freiheit sind jedoch nur eine Handlungsebene und Lesart des Romans, die zweite ist die Ebene der Träume: Moira malt Träume in ihren Werken. Daniel Benchimol träumt von Menschen, die er (noch) nicht kennt. Auch Moira war ihm seit langem in seinen Träumen erschienen. Hossi dagegen kann, seit er zweimal vom Blitz getroffen wurde und Teile seines Gedächtnisses verloren hat, nicht mehr träumen, erscheint aber anderen, die in seiner Nähe sind, in einem lila Jackett in ihren Träumen. Und schließlich taucht noch der Neurowissenschaftler Hélio auf, der mithilfe einer neuentwickelten Maschine Träume während des Schlafs im Labor in Bilder und Filme verwandelt.

Das Motiv des Traums ist das Kernthema des Romans, wie der wörtlich übersetzte Titel schon vermuten lässt. Die Protagonisten sind ihren Träumen ausgeliefert, dabei treten auch irreale und fantastische Elemente in den Vordergrund, am Ende träumen etwa alle Bewohner*innen der Hauptstadt Luanda denselben Traum. Die Träume umfassen alle Erzählebenen des Romans und greifen diese auf unterschiedliche Arten auf. Neben den wechselnden Erzählperspektiven werden Träume in Tagebüchern und Briefen berichtet oder in Gespräche eingestreut. Die Erzählstränge spielen – nicht immer chronologisch erzählt – in verschiedenen Zeitebenen und an verschiedenen Orten (Portugal, Angola, Brasilien, Südafrika). Es ist manchmal schwer, dem bisweilen verschachtelten und verwirrenden Roman zu folgen – auch, weil einzelne Szenen (traumhaft anmutend) abreißen, um später wieder aufgegriffen zu werden.

Beeindruckend ist die poetische Sprache, die fesselt und so über manche Leseanstrengung hinweghilft. Das Glossar zur Orientierung sowie die zwei Karten in der Innenseite des Hardcovers sind ebenfalls hilfreich. Leser*innen, die einen politischen Roman lesen wollen, der nicht schwer, sondern poetisch ist und dabei genug Aufmerksamkeit mitbringen, um sich in einem sprachlich beeindruckenden Erzählstrudel zwischendurch selbst zu orientieren, sei das neue Buch von Agalusa empfohlen.

Kraft der Gedanken

Famos, fantastisch, fulminant – so lässt uns Agualusa eintauchen ins Gestern und Heute Angolas. Packend erzählt der Autor vom Journalisten Benchimol, der zufällig die Kamera einer jungen Künstlerin findet, welche ihm helfen wird seine Träume zu entschlüsseln. Doch das ist nur einer der Erzählstränge, die in diesem Roman gekonnt miteinander verwoben werden. Nach und nach drängen die Details über Benchimols Scheidung und seine Tochter aus jener Beziehung ans Licht und wie sein Schwiegervater seine Karriere beeinflusst und welche Ränke geschmiedet werden, mit Macht.

Vielgestaltig sind die Charaktere, die Agualusa zusammenträgt und auf den Plan treten lässt, alle eingebettet in die politischen Begebenheiten Angolas. Den fabulösen Name Karinguiri trägt Benchimols Tochter, die eine entscheidende Rolle spielt. Moira nennt sich die (junge) Künstlerin, mit der schwimmenden Kamera und nicht zu vergessen: Hossi, der ehemalige Guerillakämpfer, der in den Träumen Fremder auftaucht, womit er den Geheimdienst auf seine Spur bringt.

Was kann aus diesem Kuddelmuddel, diesem Puzzle entstehen? Auf verschiedenen Erdteilen gar hausen die Hauptpersonen zeitweilig und doch finden sie zueinander, etwas verbindet sie alle. Sie haben einen Traum, den Traum von Gerechtigkeit, von friedlichem Zusammenleben. Bis zum Ende ist unklar, ob Hossi bewusst ist, was er in den Träumen anderer treibt. Unheimlich, aber die Hirnforschung einbeziehend, sind die Passagen, wo es um die Entschlüsselung der Träume geht – Zukunftsmusik?

Agualusas Erzählstil hat mich gefesselt von der ersten bis zur letzten Zeile. Die Art, wie er schreibt, Fiktion und Ereignisse aus Angolas Geschichte verbindet, ist kunstvoll und lässt den Ruf nach Mehr laut werden. Hier geht es an die ganz großen Themen: Kann jeder einzelne das Weltgeschehen beeinflussen? Dürfen wir auf eine bessere Welt hoffen? Tragen unsere Träume, unsere Vorstellungskraft, zu einer besseren Welt bei? Welches ist der richtige Weg zwischen Machbarkeitswahn und Träumerei? Darf ich auf die Läuterung meiner Taten hoffen? Wo, wenn nicht in der Literatur darf die transzendente Ebene Einzug halten?

Der einzige Wermutstropfen in Agualusas Beschreibungen sind die Darstellungen der Frauen. Neben der Muse – verzaubernd, schillernd, schön – gibt es die verstörend junge Aktivistin à la „Jeanne d’Arc“, den hehren Zielen getreu bis in den Tod. Dann darf natürlich die sexy Nachbarin nicht fehlen, die man nachts ihren beinah doppelt so alten Mann bumsen hört – aber natürlich hält sie nicht nur für ihren Mann her. Ach und unvergessen, die nervige Ex-Frau. Schade, dass hier keine Zwischentöne gefunden werden.

Sehr schön aufgemacht ist das Buch, indem im vorderen und hinteren Umschlag Karten mit den Orten des Geschehens abgebildet sind. Dies erleichtert allen, denen die Geographie Angolas nicht geläufig ist, einen schnellen Einblick, wie auch das Glossar und die geschichtlichen Anmerkungen, anhand derer einige Ereignisse schlüssiger werden.

Insgesamt eindeutig ein Must-Read