Vergessene Stimmen

Selten wird Geschichte eindeutig aus der Sicht einer Frau erzählt, noch seltener wird und wurde dies festgehalten. Petina Gappah ändert genau dies in ihrem historisch-biografisch fiktiven Roman Out of Darkness, Shining Light, sie verleiht Halimah, einer Schwarzen Frau die Macht und Stimme David Livingstons letzte Reise, aus der Perspektive, der von ihm befreiten Sklavin und dann Köchin der Livingston begleitenden Karawane, zu erzählen. Aus der Perspektive einer Frau, die selbstbewusst ist und mit ihren Fragen aneckt. Gappah, eine preisgekrönte simbabwische Autorin und Juristin, schrieb ihren 2019 erschienen Roman über Livingstons letzte Expedition nach dem Ursprung des Nil, als sie Teil des Künstler*innenprogramm des DAAD in Berlin war. Mit ihrem Werk bietet sie der Welt einen neuen Blick auf eine europäisch geschriebene Geschichte. Denn was oft keine Aufmerksamkeit findet, ist, dass der schottische Dr. Livingston 1866-1872 auf der Suche des Nil-Ursprungs, sowie insbesondere kurz vor seinem Tod im Jahr 1873 nicht alleine reiste. Er wurde von einer 69 köpfigen Karawane, bestehend aus Menschen verschiedenster afrikanischer Länder, sicher über den afrikanischen Kontinent, geleitet. Die Autorin beschreibt Halimah als Jene mit dem Einfall, Dr. Livingston seine letzte Reise zurück in die Heimat zu ermöglichen. Vor dem Aufbruch soll die Leiche Livingstons für diese zu trocknen, um sie auf die neun Monate und 1500km vom heutigen Sambia zurück nach Bagamoyo an die Küste des heutigen Tansania vorzubereiten. Mit Out of Darkness, Shining Light, wird Geschichte neu erzählt und bekommt einen neuen Fokus, die Intention ist nicht etwa, die Absichten und Handlungen des weißen Forschenden zu hinterfragen oder zu kritisieren, sondern es soll denen, die ihm ihren letzten Dienst erwiesen Anerkennung gezollt werden und ihnen nach viel zu langer Zeit eine Stimme verliehen werden. Im Roman erfolgt dies durch die Perspektive von Halimah und Jacob Wainwright. Sie bekommen die Möglichkeit ihre eigene Geschichte erzählen zu können:

„(…) ,this was no longer just the last journey of the Doctor, but our journey too.” (S.233, Jacob Wainwright in Out of Darkness, Shining Light)

Jacob Wainwright ist ein zum Christentum konvertiertes Mitglied der Karawane, welches auch in der Realität eigene Schriften hinterlassen hatte und teilt seine Sicht im Buch in Form von selbstverfassten Tagebucheinträgen mit dem Lesepublikum. So erzählen, reflektieren und hinterfragen Halimah und Wainwright, aus ihrer von eigenen Werten beeinflussten Perspektive, die Ereignisse auf der Reise mit „Mwili wa Daudi“, dem Körper von David, wie Livingstons Leiche genannt wird. Halimah ermöglicht dabei einen Einblick in die Erlebniswelt und Position der Frauen in der Karawane, welche oft unterschätzt und immer an einen Mann gebunden wurden. Wainwright beurteilt aus der Perspektive eines Schwarzen zum Christentum konvertierten und im Auftrag des Glaubens handelnden Mannes.

Je länger die Reise fortschreitet, desto mehr hinterfragen und reflektieren die Mitglieder der Karawane ihr Vorhaben und den Mann, welchem sie die letzte Reise ermöglichen, wobei sie täglich ihr eigenes Leben riskieren:

„Was this worth all of this trouble, was he worth it? What were we doing, taking a father to his children, when he had let one of those children die.” (S. 107, Halima in Out of Darkness, Shining Light)

Die Charaktere durchlaufen ein konstantes Wachstum, was die immer wieder neuen Herausforderungen, denen sie begegnen nicht langweilig werden lässt. Es ist nie klar, wie solchen begegnet wird. Insbesondere, da im Roman gekonnt die Beziehungen, wie auch Konflikte zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gruppe geschildert werden. Ebenfalls werden bestehende unterschiedliche Bedürfnisse beschrieben, welche durch die verschiedenen Kulturen, Religionen, Bildung und Positionen der Individuen existieren. Verluste von Mitgliedern und zuletzt gezielte Morde innerhalb der Karawane halten das Interesse und die Spannung beim Lesen aufrecht.

Die Autorin bedient sich Worten und Sätzen, der Zeit der Handlung und vorherrschenden Sprachen der Gruppe, es befindet sich ein Glossar am Ende des Buches für überwiegend Arabisch und Swahili. Mit der klaren Unterscheidung zwischen gesprochener und Schrift-Sprache, welche abhängig von den Erzähler*innen sind. Auch humorvolle Sprache, originale Auszüge aus Schriften Livingstons, Wainwright, und Anderer bieten Abwechslung im Lesefluss und authentischen historischen Kontext. Die originalen Tagebucheinträge und Schriften könnten dann problematisch werden, wenn Leser*innen die Inhalte nicht reflektiert und mit Blick auf Sklavenhandel und späteren Kolonialismus, sowie Machtpositionen der Zeit betrachten. Die den Abschluss des Buches ausmachende Bibliographie, bietet jedoch eine zusätzliche Möglichkeit, sich über den Roman hinaus, mit den genutzten zitierten Quellen zu beschäftigen. Historischer Kontext wird darüber hinaus durch die Beobachtungen und Erzählungen der Charaktere geboten. Eine Karte Zentralafrikas, die Route Livingstons darstellend, bietet dem Leser einen visuellen Eindruck der Reise.

Doch ganz ohne eindeutigen kritischen Blick auf die Geschichte lässt Petina Gappah Out of Darkness, Shining light nicht enden. Chirongo ein unbeliebtes Mitglied der Karawane, dessen Motivationen sich bis zum Ende von niemandem richtig einschätzen lassen, zieht ein Fazit, welches bezeichnend für die Zukunft des Kontinents werden wird:

„…More of them will come mark my words. This Nile source that he wanted to find, that they all want to find. They will find it, and other river sources, and in the process, they will see that there are other things to be taken. And they will want us to worship their gods, like we have not our own.” (S.256, Out of Darkness, Shining Light)

Gappahs Werk ist für alle zu empfehlen, die die Geschichte des afrikanischen Kontinents aus einer anderen Erfahrungswelt heraus erleben wollen. Und die in den ersten Kapiteln die Ruhe haben, sich auf die stark von Beobachtungen geprägte Erzählung Halimahs einzulassen. Wenn dies geschehen ist, werden Leser*innen ihren Witz und ihre Direktheit im Laufe des Romans zu schätzen wissen.

Out of Darkness, Shining Light ist ein gelungener Roman, zeigt Allen, die dafür offen sind, die andere Seite der Geschichte und lädt sie dazu ein, zu hinterfragen welche Teile des uns Bekannten die Geschichtsbücher auslassen.

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