Schmerzvolle Hoffnung

„It’s un-Nigerian.“

(S.1, Introduction)

Mit diesen Worten führt der biografische Band She Called me Woman (hg. von Azeenarh Mohammed, Chitra Nagarajan und Rafeeat Aliyu) Leser*innen in die Lebenswelten queerer Frauen* in Nigeria ein. Frauen* im Alter von 20-42 Jahren, deren Namen nur als Initialen und Herkunftsorte oder nur als freies Feld in ihren* Geschichten erscheinen. Ein weiteres Detail, welches auch nach der starken und berührenden, jedoch nicht verharmlosenden Einleitung, deutlich macht, wie wenig frei und sicher die Leben von queeren Frauen* in Nigeria sind. Die Berichtenden* kommen aus verschiedenen Regionen des Landes und haben nicht selten für ihre* eigene Freiheit Orte verlassen müssen. Zum einen aufgrund von religiösen und kulturellen Einstellungen in Gesellschaft und Familie, wie aus OFs Geschichte hervorgeht “I also do not believe God is going to smite me for loving.“(S.56, Love is not Wrong). Zum anderen aufgrund politischer und rechtlicher Strukturen. In den verschiedenen Teilen Nigerias herrschen unterschiedliche Gesetze und Strafen für Homosexualität, diese reichen von mehreren Jahren Haft bis hin zum Steinigen durch die Scharia. Viele Frauen berichten von Angst vor Strafen und, dass dies Grund für ihr verstecktes Leben sei oder auch die Flucht. Im Kontrast wird trotz allem viel von der Unterstützung durch Freund*innen gesprochen, sowie das Aufbauen eines Sicherheitsnetzes, sei es in der LGBTQ+-Gemeinschaft oder in Form eines selbst gewählten Kreises.

Das Heranwachsen als junge queere Frau*, in Nigeria, ist geprägt von der langsamen Erkenntnis nicht anerkannt zu sein. Darüber hinaus davon, sehr früh ein Bewusstsein für politische und gesellschaftliche Strukturen zu entwickeln, um ein selbstbestimmtes und so weit wie möglich freies Leben führen zu können.

Hinweise wie „Content Note: Intercommunal Violence, Physical Violence“, in TQs Bericht (S.39, I Pray That Everyone Has Forgotten), machen sehr bewusst auf die Tragweite von den bereits genannten Strukturen aufmerksam. So sind die Frauen* nicht nur von gesellschaftlichem Ausschluss und Strafen bedroht, sondern auch in allen Lebensbereichen von Gewalt. I Pray That Everyone Has Forgotten erzählt, so wie viele andere Texte auch, aus einer sehr privaten Perspektive. Teilt Erfahrungen von Verlust, einem zwiegespaltenen Herzen, Hoffnungen und Träumen für eine Zukunft in Nigeria, wie auch Zeugnisse des Muts und der Kraft, sich nicht brechen zu lassen.

She Called Me Woman sind die kostbaren und mutmachenden, wie auch schonungslosen Worte von Überlebenskünstler*innen, welche kein Mitleid fordern, sondern ihr* Recht zu sein. Dieser Band ist bildend, politisch und aktuell. Gemacht für jede Person, jedes Alter und jeden Wissenstand. Das Buch erwartet nicht, dass sich Leser*innen schon informiert haben. Es bietet mit seiner Einführung und Sammlung eine erste Grundlage, Denkanstöße und Raum sich auf die vielfältigen Themen des Bandes einzulassen. Wer gewillt ist, kann durch dieses Werk den eigenen Horizont bereichern, sei es zu Nigeria oder queerem Erleben. Da jede Person ihre Geschichte in einem eigenem, für einen Lebensweg, fast viel zu kurzem Kapitel erzählt, ist dieser Band auch die perfekte Lektüre für jede Gelegenheit. Ob für unterwegs oder ein Paar Seiten auf der Couch. Nach Lesen der Einleitung können Kapitel auch bei wenig Zeit unabhängig voneinander gelesen werden.

Abschließend kann gesagt werden, dass die Erzählerinnen* trotz der schweren Erfahrungen optimistisch und unerschrocken in die Zukunft blicken. Sie teilen mit der Welt ihre schmerzvolle Hoffnung auf ein freies und gleichberechtigtes Leben und Lieben.

Vergessene Stimmen

Selten wird Geschichte eindeutig aus der Sicht einer Frau erzählt, noch seltener wird und wurde dies festgehalten. Petina Gappah ändert genau dies in ihrem historisch-biografisch fiktiven Roman Out of Darkness, Shining Light, sie verleiht Halimah, einer Schwarzen Frau die Macht und Stimme David Livingstons letzte Reise, aus der Perspektive, der von ihm befreiten Sklavin und dann Köchin der Livingston begleitenden Karawane, zu erzählen. Aus der Perspektive einer Frau, die selbstbewusst ist und mit ihren Fragen aneckt. Gappah, eine preisgekrönte simbabwische Autorin und Juristin, schrieb ihren 2019 erschienen Roman über Livingstons letzte Expedition nach dem Ursprung des Nil, als sie Teil des Künstler*innenprogramm des DAAD in Berlin war. Mit ihrem Werk bietet sie der Welt einen neuen Blick auf eine europäisch geschriebene Geschichte. Denn was oft keine Aufmerksamkeit findet, ist, dass der schottische Dr. Livingston 1866-1872 auf der Suche des Nil-Ursprungs, sowie insbesondere kurz vor seinem Tod im Jahr 1873 nicht alleine reiste. Er wurde von einer 69 köpfigen Karawane, bestehend aus Menschen verschiedenster afrikanischer Länder, sicher über den afrikanischen Kontinent, geleitet. Die Autorin beschreibt Halimah als Jene mit dem Einfall, Dr. Livingston seine letzte Reise zurück in die Heimat zu ermöglichen. Vor dem Aufbruch soll die Leiche Livingstons für diese zu trocknen, um sie auf die neun Monate und 1500km vom heutigen Sambia zurück nach Bagamoyo an die Küste des heutigen Tansania vorzubereiten. Mit Out of Darkness, Shining Light, wird Geschichte neu erzählt und bekommt einen neuen Fokus, die Intention ist nicht etwa, die Absichten und Handlungen des weißen Forschenden zu hinterfragen oder zu kritisieren, sondern es soll denen, die ihm ihren letzten Dienst erwiesen Anerkennung gezollt werden und ihnen nach viel zu langer Zeit eine Stimme verliehen werden. Im Roman erfolgt dies durch die Perspektive von Halimah und Jacob Wainwright. Sie bekommen die Möglichkeit ihre eigene Geschichte erzählen zu können:

„(…) ,this was no longer just the last journey of the Doctor, but our journey too.” (S.233, Jacob Wainwright in Out of Darkness, Shining Light)

Jacob Wainwright ist ein zum Christentum konvertiertes Mitglied der Karawane, welches auch in der Realität eigene Schriften hinterlassen hatte und teilt seine Sicht im Buch in Form von selbstverfassten Tagebucheinträgen mit dem Lesepublikum. So erzählen, reflektieren und hinterfragen Halimah und Wainwright, aus ihrer von eigenen Werten beeinflussten Perspektive, die Ereignisse auf der Reise mit „Mwili wa Daudi“, dem Körper von David, wie Livingstons Leiche genannt wird. Halimah ermöglicht dabei einen Einblick in die Erlebniswelt und Position der Frauen in der Karawane, welche oft unterschätzt und immer an einen Mann gebunden wurden. Wainwright beurteilt aus der Perspektive eines Schwarzen zum Christentum konvertierten und im Auftrag des Glaubens handelnden Mannes.

Je länger die Reise fortschreitet, desto mehr hinterfragen und reflektieren die Mitglieder der Karawane ihr Vorhaben und den Mann, welchem sie die letzte Reise ermöglichen, wobei sie täglich ihr eigenes Leben riskieren:

„Was this worth all of this trouble, was he worth it? What were we doing, taking a father to his children, when he had let one of those children die.” (S. 107, Halima in Out of Darkness, Shining Light)

Die Charaktere durchlaufen ein konstantes Wachstum, was die immer wieder neuen Herausforderungen, denen sie begegnen nicht langweilig werden lässt. Es ist nie klar, wie solchen begegnet wird. Insbesondere, da im Roman gekonnt die Beziehungen, wie auch Konflikte zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gruppe geschildert werden. Ebenfalls werden bestehende unterschiedliche Bedürfnisse beschrieben, welche durch die verschiedenen Kulturen, Religionen, Bildung und Positionen der Individuen existieren. Verluste von Mitgliedern und zuletzt gezielte Morde innerhalb der Karawane halten das Interesse und die Spannung beim Lesen aufrecht.

Die Autorin bedient sich Worten und Sätzen, der Zeit der Handlung und vorherrschenden Sprachen der Gruppe, es befindet sich ein Glossar am Ende des Buches für überwiegend Arabisch und Swahili. Mit der klaren Unterscheidung zwischen gesprochener und Schrift-Sprache, welche abhängig von den Erzähler*innen sind. Auch humorvolle Sprache, originale Auszüge aus Schriften Livingstons, Wainwright, und Anderer bieten Abwechslung im Lesefluss und authentischen historischen Kontext. Die originalen Tagebucheinträge und Schriften könnten dann problematisch werden, wenn Leser*innen die Inhalte nicht reflektiert und mit Blick auf Sklavenhandel und späteren Kolonialismus, sowie Machtpositionen der Zeit betrachten. Die den Abschluss des Buches ausmachende Bibliographie, bietet jedoch eine zusätzliche Möglichkeit, sich über den Roman hinaus, mit den genutzten zitierten Quellen zu beschäftigen. Historischer Kontext wird darüber hinaus durch die Beobachtungen und Erzählungen der Charaktere geboten. Eine Karte Zentralafrikas, die Route Livingstons darstellend, bietet dem Leser einen visuellen Eindruck der Reise.

Doch ganz ohne eindeutigen kritischen Blick auf die Geschichte lässt Petina Gappah Out of Darkness, Shining light nicht enden. Chirongo ein unbeliebtes Mitglied der Karawane, dessen Motivationen sich bis zum Ende von niemandem richtig einschätzen lassen, zieht ein Fazit, welches bezeichnend für die Zukunft des Kontinents werden wird:

„…More of them will come mark my words. This Nile source that he wanted to find, that they all want to find. They will find it, and other river sources, and in the process, they will see that there are other things to be taken. And they will want us to worship their gods, like we have not our own.” (S.256, Out of Darkness, Shining Light)

Gappahs Werk ist für alle zu empfehlen, die die Geschichte des afrikanischen Kontinents aus einer anderen Erfahrungswelt heraus erleben wollen. Und die in den ersten Kapiteln die Ruhe haben, sich auf die stark von Beobachtungen geprägte Erzählung Halimahs einzulassen. Wenn dies geschehen ist, werden Leser*innen ihren Witz und ihre Direktheit im Laufe des Romans zu schätzen wissen.

Out of Darkness, Shining Light ist ein gelungener Roman, zeigt Allen, die dafür offen sind, die andere Seite der Geschichte und lädt sie dazu ein, zu hinterfragen welche Teile des uns Bekannten die Geschichtsbücher auslassen.

Die Zerrissenheit der Diaspora

“He did not get the same feeling of space or expansiveness here as he felt when he was back home.” (S.84 Magistrate in The Maestro, The Magistrate & The Mathematician)

Wenn das Heimatland verlassen werden muss, weil es für einen selber, oder die Familie keine Perspektive gibt und das Ausland mehr verspricht, wenn man sich gezwungen fühlt zu gehen, dann ist es schwierig die Nostalgie nach der Heimat aufzugeben und sich zu erlauben in der Fremde wirklich anzukommen. Tendai Huchu beschreibt in seinem Roman The Maestro, The Magistrate & The Mathematician genau diesen Zustand des Lebens dreier simbabwischer Männer Anfang der 2000er in Edinburgh, Schottland. Huchu selber ist Simbabwer, lebt und arbeitet als Autor und Podologe in eben dieser Stadt. Sein Werk beschreibt vielleicht genau aus diesem Grund sehr präzise die Situation in der die Simbabwer, der „Magistrate“, „Mathematician“ und „Maestro“ sich wieder finden. Noch nicht richtig in der neuen Heimat angekommen, obwohl sie schon einige Zeit in der schottischen Stadt leben, sind sie mit ihren Gedanken trotzdem immer noch in Simbabwe. Sei es, um zu vergessen und nicht zu erinnern, konstant die Nachrichten verfolgend, in der Hoffnung nach neuen hoffnungsbringenden Berichten für das eigene Land, oder auch eigene Investitionen im Heimatland im Auge behaltend. Die Charaktere wechseln sich in Form von Sektionen ab, aus ihrer Perspektive mit den Lesenden ihren Alltag, ihre Gedanken und Sorgen zu teilen. Dabei handelt es sich um die Sorgen von Menschen in der Diaspora, welche beunruhigt und in ständiger Anspannung auf Veränderungen in der sich stetig verschlimmernden Wirtschaftskrise und politischen Situation hoffen und eher nebenbei ein Leben im Ausland führen. Huchu bietet einen detaillierten Einblick in das alltägliche Leben seiner Charaktere, was ihre Situation umso greifbarer macht. Sie stellen sich selber durch Rückblenden in ihre Vergangenheit und innere Monologe vor. Zwischenmenschliche Beziehungen und die Verwobenheit der Leben der einzelnen, vorgestellten Individuen und ihrer Geschichten können Leser*innen immer wieder in Erstaunen versetzen. Denn auf den ersten Blick unterscheiden sich die drei Männer, an denen sich die Geschichte entlang entwickelt, nicht nur in den Generationen, sondern auch in ihrem Wesen und Erleben stark.

Der „Magistrate“ ist Familienvater und ehemals angesehene Persönlichkeit, welcher in Schottland erst arbeitslos und dann auf einer seiner Qualifikation nicht entsprechenden Stelle im Gesundheitswesen Arbeit findet. Er führt Lesende in simbabwische Musik und ihre Bedeutung ein, kann zunächst nicht von nostalgischen Erinnerungen an die Vergangenheit ablassen und wird vom neuen Leben in neuem Umfeld mit neuen Regeln, sowie seiner ebenfalls neuen gesellschaftlichen Position herausgefordert. Gleichzeitig versucht er sich auf das neue und andere Leben der jungen (simbabwischen) Generation, wie das seiner Tochter einzulassen.

Teil einer jüngeren Generation ist auch der „Mathematician“, seine Person scheint auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig, unreif und unreflektiert. Merkwürdige Witze gehören zu seiner Kommunikation und Hutchu baut in seine Sektionen unterschiedliche Schriftarten, Zahlen und Symbole ein, welche den vermuteten kindischen Geist noch hervorheben. Im Laufe des Romans stellt sich jedoch heraus, dass es sich um einen, wenn auch wirtschaftlich privilegiert aufgewachsenen, sehr reflektierten Charakter handelt. Seine gesellschaftskritischen Ansichten behält er jedoch in der Regel für sich.

Vom „Maestro“ lässt sich über viele Seiten sehr wenig erfahren. Sein Leben dreht sich um Bücher und es lässt sich ein stark depressiver Zustand der Person erahnen, in dessen Zügen er Menschen von sich stößt und in selbstgewählter Einsamkeit, den Sinn des Lebens hinterfragt. Dieser Zustand der anhaltenden Schwere und des ewigen Lesens und Analysierens kann für Leser*innen fast schon zu anstrengend werden. Daher sind die Perspektivwechsel eine Bereicherung für den Roman und ein starkes Beispiel für nebeneinander existierende Lebensrealitäten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Verflechtungen zwischen den Leben der im Roman vorgestellten Figuren entstehen oft durch ihre Gemeinsamkeit als in der Diaspora und nach Halt suchende Simbabwer. Verbindungen in die Heimat, mit anderen Simbabwern oder auch politischer Aktivismus gegen Korruption und Politik zu Hause sind Halt gebenden Elemente.

Der Roman wird von Huchus humorvollem Schreibstil getragen. Wechsel zwischen den drei sehr intensiven und erzählenden Persönlichkeiten, wie auch die immer wieder aufkommenden Hinweise darauf, dass sich ihre Wege früher oder später kreuzen könnten, sorgen für ein stetig anhaltendes Interesse am Fortlauf der Handlung.

The Maestro, The Magistrate & The Mathematician ist ein vielseitiger Roman, der die Zerrissenheit derer beschreibt, die in die Diaspora gingen. Ebenfalls beschreibt er eine Zeit Simbabwes aus der Außensicht, die auf Grund der sich anhaltend verschlechternden Lage im Land als „Lost Decade“ gilt. Huchu hat eine Momentaufnahme geschaffen, der es sich lohnt seine Zeit zu schenken, sei es aus Interesse an simbabwischem Leben aus der Sicht der Diaspora, oder um einen Einblick in die Vielschichtigkeit seiner Charaktere zu bekommen. Ein empfehlenswerter Gesellschaftsroman, insbesondere für Menschen, die sich für Geschichten über innere Zerrissenheit und das Ankommen begeistern.

Von Guten und Schlechten Tagen

„Niru, my father shouts, please come back, talk to me. But there is nothing left to say.” (S.141, Speak No Evil)

Liebe und Wut. Stolz und Angst.

Diese Emotionen begleiten Niru und Meredith, ebenso wie die Überforderung mit diesen. Als Teenager müssen sie in einer Welt voller Intoleranz und Unverständnis, den eigenen Weg zu finden, dies macht Speak No Evil, zu mehr als nur Coming of Age Literatur. Autor und Arzt Uzodinma Iweala wurde bereits für seinen Debüt-Roman Beasts of No Nation mit vielen Preisen ausgezeichnet, dies setzte sich mit dem „Gold Nautilus Award for Fiction“ für Speak No Evil fort, sowie mehreren Auszeichnungen für eben dieses Werk. Iweala, welcher selbst mit nigerianischen Eltern in Washington D.C. aufwuchs und heute zwischen New York City und Lagos, Nigeria pendelt, lässt auch seinen Charakter Niru mit nigerianischen Eltern in der Diaspora, in Washington D.C. aufwachsen, ebenfalls geprägt durch regelmäßige Reisen nach Nigeria.

Niru und Meredith sind beste Freunde, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten, was umso mehr dadurch zur Geltung kommt, dass Teil 1 des Romans aus Nirus und Teil 2 aus Meredith Perspektive erzählt. Trotz ihrer Unterschiede teilen sie Themen, wie die schwierige Beziehung zu ihren Eltern, das Zurechtkommen in einer Welt die sie nicht zu verstehen scheint, die Kraft die sie sich gegenseitig geben und Liebe. Denn als sie kurz vor dem Abschluss der High School stehen, zeigt Meredith Niru, dass sie mehr von ihm will als Freundschaft, woraufhin er sich ihr gegenüber outet. Ein Coming of Age Roman, der durchaus der queeren Literatur zugeordnet werden kann. Einfühlsam, wie auch direkt, das Lesepublikum nicht schonend, lässt Iweala, Niru seine Welt teilen. Aufwachsend mit einem konservativen, der Kirche sehr zugewandten nigerianischen Vater, der das Überleben seiner Kinder in einer weißen Welt sichern will und gewaltvoll wird, als er von der Homosexualität seines Sohnes erfährt. Er besteht darauf, Niru einem Geistlichen in Nigeria anzuvertrauen. Von dort an führt der Autor schleichend, Schritt für Schritt mit gekonnten Verflechtungen aus Erinnerung und inneren Monologen des jungen Mannes, die Themen Depression, Männlichkeit, Glaube, Identität und Selbstliebe ein. Niru beginnt sich und sein Umfeld zu hinterfragen, während Familie und Kirche versuchen ihm zu sagen, welches der richtige Weg für ihn ist. „Maybe I have spent too much time in the United States soaking up ungodly values and satanic sentiments, as my father has said, and that has created a confusion only the motherland can cure. Or maybe I’m just me.” (S.57, Niru in Speak No Evil)

Die Suche nach sich selbst, in einer Lebensrealität, die das neu gefundene Selbst nicht annimmt. Das Treffen von Entscheidungen für oder gegen die selbstgewählte oder auferlegte Identität und Einsamkeit verfließend mit Beschreibungen von guten und schlechten Tagen, die es zu überstehen gilt, ohne die beste Freundin, denn Meredith und Niru zerstreiten sich. Der Autor gewährt beiden Charakteren Raum für Entwicklung und beleuchtet dabei, die Menschlichkeit im Unverständnis und dem Mangel von Empathie für das Gegenüber auf Grund eigener Probleme. Es gelingt ihm ebenfalls deutlich werden zu lassen, das solch ein Verhalten auch Konsequenzen nach sich zieht. Eine unaufhaltsame Kette von Ereignissen. Es wird plötzlich sehr deutlich, was zu Beginn vom Autor immer nur angedeutet wurde, jedoch auch offensichtlich sein könnte. Niru ist ein Schwarzer Mann in Amerika und lebt in einem System, in dem sein Leben nicht zählt, noch weniger seine persönliche Situation. Meredith ist eine weiße junge Frau, sie ist alleine aufgrund ihrer Hautfarbe privilegiert. Ein Ereignis folgt dem Nächsten und aus einer Coming of Age Story wird ein eindeutig politischer Roman, der im Laufe seiner Entwicklungen das System Rassismus und Schwarz-Sein in den USA thematisiert. Während gleichzeitig die Geschichte eines in der Diaspora aufwachsenden jungen Mannes weiter in den Hintergrund rutscht. Leser*innen werden überrascht und bekommen nicht was sie erwarten, dies macht den Roman umso lesenswerter. Er lässt das Publikum sich in der Sicherheit der, vermeintlich richtigen, Vorahnung für den Fortlauf der Geschichte wägen und überrumpelt schlussendlich. Denn es ist Meredith, die im zweiten Teil ihre weißen Privilegien und Nirus Geschichte reflektiert, der Autor lässt das Publikum die gesamte Intensität der Erkenntnis nachspüren, die einen Wendepunkt in Niru und Merediths Freundschaft geschaffen hat. Iweala macht mit seinen zwei unterschiedlichen Figuren und ihren sehr verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen in der Welt, seine Geschichte für ein breites Publikum zugänglich. Meredith Part beschreibt ihre Sicht auf die Ereignisse, nachdem sechs Jahre vergangen sind. Dies gewährt Lesenden einen Einblick in ihre persönliche Entwicklung und die der anderen Charaktere, denen sie begegnet. Sie reflektiert die Geschehnisse mit einigen Jahren Abstand, denn Meredith ist von Washington D.C. nach New York gezogen, hat sich von ihrem Elternhaus gelöst.

Der Roman ist für jede Altersgruppe zu empfehlen, die Vielfältigkeit der Handlung und dynamischen Beziehungen der Charaktere kreieren ein ganz besonderes Leseerlebnis. Wobei dies nicht zwangsläufig bedeutet, als lesende Person glücklich mit der Handlung zu sein. Anzumerken ist zudem, dass die nicht eindeutig markierte wörtliche Rede den Einstieg in den Roman etwas erschweren mag, den Lesefluss unterbrechen könnte, jedoch lediglich eine Gewöhnungssache ist.

Überwältigend ist dieses Werk für seine 200 Seiten, da die Vielfalt der Themen, überfordern kann, wenn sich allerdings auf die Handlung eingelassen wird, ist es positiv überraschend und intensiv. Es könnte sogar passieren, dass sich Lesende doch noch ein paar Kapitel mehr wünschen.

Mit dem Ende von Speak No Evil bleibt das Lesepublikum mit der Frage zurück, ob die Kette an Ereignissen, welche die Lebenswelt der Charaktere für immer verändert, hätte aufgehalten werden können und wann der Moment dafür hätte gewesen sein können.

Verschüttete Erinnerung

„Something told me we were going to see father again, one day: if not in this life, then maybe in another.” (S.140, Running with Mother)

Das sind die hoffnungsvollen Gedanken von Rudo Jamela, einem 14 jährigen Schulmädchen, dass sich ohne es zu ahnen eines Tages in Mitten des Genozid in Simbabwe, nach einem Sprichwort; Gukurahundi (z.dt. „der frühe Regen spült die Spreu weg vor dem Frühlingsregen“) benannt, wiederfindet. Inmitten, nicht nur auf Grund der Tatsache, dass das Morden sie von einem Tag auf den Anderen umgibt, sondern auch aus dem schlichten Grund, dass ihr Vater als Ndebele zu den von der Regierung „Gejagten“ gehört und ihre Mutter als Shona Teil der Bevölkerungsgruppe ist, welche den Genozid antreibt, vollzieht und die Mehrheit im Land darstellt. Rudo (Shona) Jamela (Ndebele)- bereits auf der ersten Seite des fiktiv historischen Romans Running with Mother beginnt der preisgekrönte simbabwische Autor, Poet und Theaterautor Christopher Mlalazi sein Lesepublikum langsam und dann immer intensiver in die Strukturen des in den 1980er Jahren aufflammenden Genozids in Simbabwe einzuführen. Eine vom damaligen Präsidenten Robert Gabriel Mugabe eingesetzte Spezialeinheit der Regierung, mit dem Namen „Gukurahundi“, vollführte ein Massaker an der Bevölkerungsgruppe der Ndebele. Mugabe selbst, Teil der Mehrheitsbevölkerung der Shona, führte dies somit gezielt durch, um seine Macht zu sichern. Bis heute herrscht Schweigen über die Gräueltaten der 80er Jahre und es wird weder aufgeklärt, noch über das Morden gesprochen. Christopher Mlalazi, selber Ndebele, ist Zeitzeuge und schreibt somit nicht nur über die verschüttete Geschichte seines Landes, die 20.000 Menschen das Leben kostete, sondern auch über seine Eigene. Er klärt auf worüber nur wenige sich trauen aufzuklären. Sehr bewusst scheint er daher Rudo Jamela als Hauptfigur seines Romans gewählt zu haben, die ohne etwas dafür zu können zwischen beiden Seiten steht und gleichzeitig repräsentiert, dass sowohl Shona als auch Ndebele zu Simbabwe gehören. Rudo und Mlalazi führen Leser*innen langsam durch die Zeit des Beginns von Gukurahundi, es sind nur wenige beschriebene Tage dieser Zeit, in denen Angst, Unruhe, Trauer und Trauma Rudos Leben bestimmen. Es ist die Geschichte einer Überlebenden, deren Flucht, das (Weg-) Rennen mit ihrer Mutter, vor Gewalt und Willkür, der rote Faden des Romans ist. Obwohl ihre Mutter Shona ist, müssen sie fliehen, denn sie leben mit der Ndebele Familie von Rudo, um ihre Tochter und die letzten Überleben der Familie, ihre Tante und ihren Baby-Cousin zu retten, müssen sie „rennen“. Dabei lässt Mlalazi die Flüchtenden historische Ereignisse dieser Zeit beobachten und selber erleben. Das Anzünden von Häusern, in denen sich ganze Familien befinden, das Foltern von Gefangenen in Lagern, das Entstehen eines von vielen Massengräbern in einer still gelegten Miene, die Willkür und Brutalität der Soldaten. Trotz der vorherrschenden Gewalt im Roman, schafft der Autor es den Leser*innen, durch die anhaltende Hoffnung und Kraft der Charaktere, ein wenig die schwere der geschilderten Handlung zu nehmen. Mit Rückblenden zu vergangenen glücklicheren Tagen, ermöglicht er ein Durchatmen und Erholen, aber auch tieferes Verstehen der Charaktere, ihrer Geschichten und Beziehungen. Der gefangen genommene Vater Rudos ist trotz seiner physischen Abwesenheit präsent und Erinnerungen an seine Vergangenheit als Freiheitskämpfer während des Kriegs für die simbabwische Unabhängigkeit von der Apartheid, geben dem Publikum historischen Kontext und ein Verständnis für den Unglauben aller Figuren, dass die Gewalt zurückgekehrt ist. Viele Rückblenden sind unter anderem von Witz geprägt, geben die Möglichkeit für kurze Zeit aus der Intensität des, nur 140 Seiten langen, Romans auszubrechen, zu schmunzeln und bereit für den nächsten Teil der Flucht zu sein. Mlalazi schafft es einfühlsam und nicht wertend das Verdrängen von Trauma zu beschreiben, welches alle Figuren auf eigene Art und Weise durchleben „We quickly turned away without a word, as if explanations would increase the brutal reality.“ (S.79, Running with Mother)/„ I noticed that even though her eyes were on the body she spoke as if she hadn’t seen it.” (S.80, Running with Mother). Darüber hinaus wird im Roman ein Bild der simbabwischen Gesellschaft gezeichnet. Die primäre Nutzung von Shona in der Kommunikation, welche Rudo und ihrer Mutter letztendlich das Leben rettet und das nicht Übersetzen dieses im Buch, ist sinnbildlich für die Dominanz der Shona im Land zur geschilderten Zeit. Sowie ebenfalls bezeichnend für die Macht, welche eine vermeintliche Zugehörigkeit und das Beherrschen einer Sprache in gesellschaftlichen und politischen zusammenhängen haben kann. Deutlich wird in Running with Mother das Privileg (u.a. des Überlebens), welches Rudo und ihre Mutter im Gegensatz zu anderen haben. Konflikte auf Grund dieser Privilegien können auch in der Beziehung zwischen Rudos Mutter und ihrer Tante gesehen werden. Diese Konflikte sind bis heute Teil der simbabwischen Gesellschaft, bei welchen das Nicht-Anerkennen der Verbrechen von Gukurahundi, als solche, bis in die heutige Zeit eine zentrale Rolle spielt. Trotz der genannten Spannungen schafft der Autor es, es dem Publikum schwer zu machen, eine klare Ablehnung Rudos Mutter gegenüber zu entwickeln. Gekonnt gelingt es ihm zwischen der starken Trennung der Menschen in Shona oder Ndebele, Figuren als Individuen zu zeigen, wie sie leiden, leben und lieben. Insbesondere die Liebe der Mutter zu ihrer Ndebele Familie, lässt die Sympathie für sie mit der fortschreitenden Handlung wachsen. Es wird zudem nicht außer Acht gelassen zu untermalen, dass für die Mutter am Ende das Überleben ihrer Tochter und mit dem Finden von Rudos Baby Cousin, das Überleben ihrer Kinder am Meisten zählt. Das Buch beschränkt sich nicht nur auf eine Perspektive sondern öffnete dem Publikum die Augen für die Vielfalt von Lebenswelten inmitten unberechenbarer Gewalt und Ungerechtigkeit. Es schafft Raum zu verstehen, dass es sich um ein politisch durchgeführtes Morden handelte und dafür nicht alle Individuen einer Bevölkerungsgruppe verantwortlich gemacht werden können.

Christopher Mlalazi hat mit seinem Roman einen wertvollen politischen und historischen Beitrag in der Welt der afrikanischen Literatur, insbesondere der simbabwischen Literatur und Geschichte geschaffen. Das Buch ist die Stimme einer Nation, einer Bevölkerungsgruppe und eines Zeitzeugen für alle Zeitzeugen und nachfolgenden Generationen. In seinem Schmerz schafft es das Werk das verschüttete Trauma eines Landes zu befreien und gibt all denen Kraft, die bis heute nicht wagen darüber zu sprechen.

So wie es bei den Charakteren im Buch zu sehen ist, zeigt Mlalazi, dass aus Schmerz heraus Wachstum möglich ist. Hoffnung ist dabei das zentralste Gefühl, das der Roman vermittelt, denn obwohl er keine Lösung und kein „Happy End“ bietet, blickt die 14 Jährige Rudo mit der Hoffnung in die Zukunft, wenn nicht in diesem Leben, ihren Vater in einem anderen wieder zu sehen.

Dieser dynamische, leise, abwartende und realistische Roman, macht das Vergessen schwer. Leser*innen sollten sich dessen bewusst sein, wenn sie sich für ihn entscheiden. Jene, die die Beschreibung von gnadenloser Gewalt und tiefem Trauma zwischen den Zeilen nicht aushalten können, sollten das Buch jedoch besser gar nicht, oder nur Stück für Stück und nicht in einem lesen. Sich Abstand erlauben. Insbesondere, wenn Sie als Leser*in einen persönlichen Bezug haben sollten, kann dieses Werk eine emotionale und historische Herausforderung für sie darstellen. Diejenigen, die allerdings nach Spannung oder der Vervollständigung ihres Wissens der simbabwischen Geschichte suchen, dürfen dieses Buch nicht missen. Da ein weiterer besonderer Aspekt ist, dass es von einem als Ndebele sozialisierten Zeitzeugen geschrieben wurde und somit Geschichte aus der Sicht eines Betroffenen erzählt.

Starke Frauen* und mutige Worte

Außergewöhnlich, fast schon unglaublich ist das Werk, welches Bernadine Evaristo mit ihrem fiktiven Gesellschafts-Roman Girl, Woman, Other geschaffen hat. 12 starke und inspirierende Stimmen von Frauen*, die ihren Weg noch suchen, finden und immer hinterfragen, erzählen ihre Geschichte. Wobei sie sich nicht nur auf die guten Seiten beschränken und Leser*innen grundsätzlich das eine oder anderen Mal vor den Kopf stoßen.

„she saw their future and hers, as baby-mothers pushing prams

pushing fatherless timebombs

forever scrambling down the side of sofas for change to feed the meter, like Mum (…)

not me, not me, not me, she told herself, I shall fly above and beyond” (S.128, Carol in Girl, Woman, Other)

Evaristo ist eine britisch-nigerianische Schriftstellerin und Professorin, welche sich thematisch von ihrem Interesse für die afrikanische Diaspora inspirieren lässt. Ihr Roman Girl, Woman, Other wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Das Werk beeindruckt durch seine nicht zu enden scheinende Vielfalt von Geschichten, die den unterschiedlichsten Lebenswegen und –entwürfen als (queere) Frauen* of Colour folgen. Sie alle leben in Großbritannien und sind Teil der Diaspora. Es sind Geschichten aus den verschiedensten Teilen der Gesellschaft, mit individuellen Perspektiven und Möglichkeiten, doch was sie verbindet, sie leben alle im gleichen System und sehen sich mit den täglichen Kämpfen um ihre Stimmen und Gleichberechtigung konfrontiert. Sie geben nicht auf, machen weiter und finden oder suchen den Weg der ihr persönliches Glück bedeutet, trotz aller Ungerechtigkeiten und traumatischen Erfahrungen. Es ist ein ehrlicher Roman, denn die Charaktere die Evaristo geschaffen hat, sind keinesfalls perfekt, sie haben ihre Fehler, stoßen Leser*innen mit ihren Ansichten, Gedanken, Entscheidungen und sogar Handlungen vor den Kopf. Nicht alle sind sie so tolerant und reflektiert, wie man es sich wünschen würde. Sie brechen mit den Strukturen, die die Gesellschaft als Norm vorgibt und lassen Leser*innen schonungslos daran teilhaben.

Selbst an biografischem und historischem Kontext fehlt es nicht, durch Rückblenden und dem Einbinden mehrerer Familienmitglieder oder Freund*innen, von bereits vorgestellten Figuren, in ihre Auswahl an Charakteren, verliert sich das Lesepublikum nicht im 500 Seiten langen Werk. Die Autorin beschreibt gekonnt die Diversität, welche im Leben von Beziehungen möglich ist, wie auch deren Entwicklung, Auflösung und Erleben.

Trotz der vielen Charaktere ist es doch erstaunlich einfach den Überblick zu behalten, neue Abschnitte im Buch werden mit den Namen der Frauen* begonnen, aus deren Perspektive erzählt wird. Das zurückgehen dieser in ihren Erinnerungen und die regelmäßigen Rückblicke, die die Autorin einbaut, dienen teils dazu in der Geschichte ihres Landes oder Biographie zurückzugehen. Sie bewirken zudem, dass man die Beweggründe der Frauen, die sie zu Entscheidungen und Handlungen veranlasst haben, am Ende ihres Abschnitts nachvollziehen kann. Darüber hinaus werden auch die persönlichen Privilegien jeder einzelnen der Frauen* beleuchtet, wie sie mit diesen umgehen und sich in der Gesellschaft bewegen. Denn alle Charaktere unabhängig welchen Alters, teilen, dass sie spätestens außerhalb ihres persönlichen Umfeldes mit Rassismus und verschiedensten Formen von Diskriminierung zu kämpfen haben, sich behaupten müssen.

Die individuelle gefundene oder auch auferlegte Identität der Frauen* ist der rote Faden, durch den sich alle Geschichten immer wieder miteinander in Verbindung bringen lassen. Männer* erscheinen im Roman Girl, Woman, Other ebenfalls, sie sind Partner, Familie, Freunde und je nach Roman-Figur mal mehr, mal weniger präsent. Die Beziehungen zu ihnen sind so vielfältig, wie die Hauptcharaktere selber.

Es gibt zum Beispiel Amma eine Mutter, die ihr Leben in der Welt des Theaters beschreibt und auf ihre Jugend und Kindheit zurückblickend ihre Teenager-Tochter Yazz betrachtet. Amma und Yazz sind zwei starke, selbstbewusste Frauen, die wissen, was sie wollen. Die eine früher als die Andere. Yazz wächst mit ihrer, sich in einer lesbischen polyamourösen-Beziehung, befindenden Mutter auf, während ihr Vater ein wohlhabender homosexueller Freund dieser ist. So prägen die Tochter mit dem Tag ihrer Geburt, die Fragen nach Privileg, Identität und Politisierung.

Dies ist nur ein kleiner oberflächlicher und beispielhafter Einblick in das komplexe Leben von Amma und Yazz, sowie in die unerschöpfliche mögliche Diversität der Beziehungen und Einflüsse, die die Charaktere im Roman prägen. Dies macht es umso wichtiger, trotz der Aufteilung in klare personenbezogene Abschnitte, diese nicht abweichend von der vorgegebenen Reihenfolge zu lesen. Dadurch würden die geschickt gesponnenen Verflechtungen der einzelnen Leben, welche teils nur durch einen Nebensatz ins Bild treten, verloren gehen. Personen aus den Kreisen in denen sich Amma und Yazz bewegen finden sich beispielsweise im späteren Verlauf des Romans als Haupt- oder Nebencharaktere wieder und bilden aus vielen kleinen eine zusammenhängende Generationen und Grenzen überschreitende Geschichte.

Evaristo ist mutig, denn dieses Buch scheint nicht geschrieben worden zu sein, um gemocht zu werden, es füllt selbstbewusst eine Lücke in der afrikanischen (diasporischen) Literatur. Queerness, Frau*-Sein, geschichtlich-britisch-diasporische, geschichtlich-britisch- koloniale, individuell biographische Elemente, sowie Strukturen von Rassismus und Diskriminierung in einem einzigen Werk, welches nicht die Absicht hat anzuprangern, sondern zu erzählen und Leser*innen erleben und nachfühlen zu lassen, ist eine außergewöhnlich neue Art der Literatur. Eine Bereicherung für jedes Bücherregal und so komplex, dass es sich lohnt es mehrere Male und mit Zeit zu lesen. Es werden globale Themen diskutiert und reflektiert, so intensiv, dass es unangenehm werden kann, wenn man nicht offen dafür ist. Jedoch umso mehr lernt, weint und lacht, wenn man die teilweise fast schon in Versform geschriebenen Worte auf sich wirken lässt, zulässt, dass sie die eigene Sicht auf die Welt verändern.

Girl, Woman, Other ist ein Roman voller Schwere und Schmerz, der Leser*innen trotzdem mit dem Gefühl von Zuversicht zurücklässt.

Vergessene Erinnerung

Gewalt. Tod. Trauer.

Diese drei Worte beschrieben die Erfahrungen Alfa Ndiayes, eines sogenannten Senegalschützen, im Ersten Weltkrieg an französischer Front, sehr genau. Ein junger Mann, der seinen „Seelenbruder“, Mademba Diop, in diesem Krieg verliert. Der sehr kurze, aber von der französischen Kritik dennoch gefeierte Roman, Nachts ist unser Blut schwarz, von David Diop, soll einen vergessenen Teil der europäischen Kriegsgeschichte aufarbeiten. Größtenteils fiktiv, wird fast schon wie aus einem poetischen Tagebucheintrag oder Brief, aus der Sicht eines schwarzen westafrikanischen Soldaten erzählt. Diop selbst hat franko-senegalesischen Wurzeln und arbeitet als Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Auch im literaturwissenschaftlichen Bereich setzte er bereits Schwerpunkte auf die europäische Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents.

Der in der deutschen Übersetzung, für manche, vielleicht etwas ungewohnte Rhythmus, unterstreicht, das Berichten des Hauptcharakters, auf einer anderen Sprache. Diop füllt hiermit eine literarische, wenn nicht sogar historische Lücke, da oftmals nur Perspektiven von weißen europäischen Soldaten bekannt sind. Hierbei legt er den Fokus sehr bewusst auf die damals gezielte Darstellung von schwarzen Männern, als „angsteinflößende Wilde mit Machete“. Nach dem Tod Madembas, durch eine deutsche Kugel, gerät Alfa in einen sehr brutal geschilderten Vergeltungsrausch. In diesem wird er sich der ihm auferlegten Rolle bewusst und nutzt sie zu seinem Vorteil, welcher ihn jedoch nach und nach unter den eigenen Kameraden zum Gefürchteten werden lässt. Das Sammeln abgetrennter Feindeshände, führt schließlich zu seiner Versetzung, in ein Rehabilitationslager. Diop verspinnt diese physische Reise und Entwicklung Alfas, geschickt mit der zunehmenden Reflexion von seiner Gegenwart, bis in die eigene Vergangenheit. Spiritualität, Freundschaft, Liebe und die Frage nach Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit, welche die rudimentärsten Züge einer jeden Person zum Vorschein bringt, sind weitere zentrale Themen. Während tödliche Kugeln schwarze, so wie weiße Leben, auf dem Schlachtfeld, letztendlich wieder gleichwertig machen. Lesenden wird ein Einblick in bisher viel zu selten besprochene Lebenswelten der Vergangenheit ermöglicht. Einen Blick auf den Ersten Weltkrieg, aus einer neuen Perspektive.

Auf Grundlage der deutschen Übersetzung, jedoch ohne das französische Original zu kennen, ist Kritik an ausformulierter und ohne Erläuterung stehen gelassener, rassistischer Sprache zu üben. Zum N-Wort, so, wie Weiteren in der deutschen Sprache beleidigenden Begriffen, gibt es keinen zusätzlichen Vermerk im Buch, welcher ihre Nutzung in der deutschen Ausgabe begründet oder wenigstens erklärt. Insbesondere nach der Debatte zu rassistischer Sprache in der deutschen Kinderliteratur von 2013, sollten Verlage inzwischen sensibilisierter, zumindest aufgeklärter sein.

Trotzdem ist dieser Roman, für alle, die einen fiktiv-historischen Roman mit einer sich ständig wandelnden Hauptfigur wollen, sehr zu empfehlen. Sowie für ein Publikum, das nicht vor intensiven und gewaltvollen Bildern, Geschichten in Geschichten und unerwarteten Wendungen zurückschreckt.

Mit Nachts ist unser Blut schwarz, lässt David Diop fast vergessene Erinnerungen wieder aufleben. Seine Worte führen uns vor Augen, wie einseitig Geschichte geschrieben wurde und wird.

Träume von Widerstand

„Wenn Träume nach dem Aufwachen noch Sinn ergeben, dann ist man in Wirklichkeit noch nicht wach.“ (S.63, Schneeflocke in Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer)

Es ist erstaunlich, wie der angolanische Autor und Journalist José Eduardo Agualusa gekonnt anhand verschiedener Generationen und einer Gruppe von Bekannten, Verwandten und Freunden einen Einblick und ein Einfühlen in die Geschichte Angolas schafft. Mit seinem kritischen Blick und der Fähigkeit die verschiedenen Stimmen der Bevölkerung widerzuspiegeln, wird er als einer der bedeutendsten Gegenwartsautoren für afrikanische und portugiesischsprachige Literatur bezeichnet.

Auf das Symbol des Traums und der Welten der Träume zurückgreifend, gelingt es ihm, in Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer, politischen Ereignissen und dem Trauma einer ganzen Nation eine mythische Dimension zu verschaffen. Gelesen in der deutschen Übersetzung, war der Gebrauch eines zum Teil lyrischen Schreibstils in einem Roman zu Beginn sehr ungewohnt. Agualusa schafft es jedoch das lesende Publikum schon nach wenigen Kapiteln durch anhaltende Spannung in seinen Bann zu ziehen. Wechsel von Erzählerperspektiven und den sich immer wieder wandelnden Informationen zu bereits vermeintlich beantworteten Fragen, geben dem Buch insgesamt die Dynamik und Rastlosigkeit, die auch die erzählenden Charaktere durchleben. Tagebucheinträge durchbrechen den Lesefluss und geben direkten Einblick in Erlebnisse und Vergangenheit der Figuren. So wird dem Publikum auch ein Einblick in die Zeit des Bürgerkriegs Angolas und seiner traumatischen Folgen für die Bevölkerung gewährt. Das Wandeln verschiedener Protagonist*innen durch Träume, geteilte Träume und der Traum einer Revolution, der durch das Aufbrechen durch die aktivistische Tochter der Hauptfigur des Romans gelebt wird, lassen Realität und Traumwelt zwar verschwimmen, schwächen jedoch nicht die Aussage der Erzählung ab. Um Träume, auch als Wünsche, Visionen oder Utopien zu sehen, sind mithin Willenskraft und Ausdauer essenziell, um Veränderung bewirken zu können. Ein wortwörtlich kollektiv geträumter Traum führt im Roman, wie aber auch in jeder Revolution zur Mobilisierung. Die gemeinsame Vision verbindet, auch wenn die Vergangenheit jeder Person und ihre Motivation im Leben unterschiedlich sein mögen. Der Roman schafft Einblick in die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und politischen Seiten des Angola vorm fiktiven Sturz des Präsidenten. Ein kritischer Journalist hat mit einer durch ihren Vater in der Politik klar konservativ positionierten Frau ein Kind. Die Tochter entwickelt sich zu einer Aktivistin, welche mit anderen jungen Leuten zum Sturz des Präsidenten führt und einmal mehr symbolisch für die politischen Spannungen steht. Dies ist eine grobe Beschreibung des roten Fadens, welcher sich insbesondere entlang der Wahrnehmung des geschiedenen Vaters zieht und selber die Funktion erfüllt im Verlauf der Geschichte diverse Nebenakteure in die Handlung einzuführen. Hinzugefügt werden muss an diesem Punkt, dass der Roman nicht historisch, sondern fiktional vorgeht. Somit sind nicht alle historisch anmutenden Informationen auf Angola übertragbar.

Trotz der teilweise schwierig nachzuvollziehenden und teils verwirrenden Handlungen, wird ein sehr deutliches und nachspürbares Bild davon kreiert, welche Auswirkungen politische Spannungen und Willkür auf Individuen, wie auch die gesamte Bevölkerung haben können. Die immer wieder in die Geschichte eingebauten Träume, ermöglichen Lesenden kurze Pausen von den Wirren und der Unruhe der Handlung.

Die Sprache der deutschen Übersetzung betreffend, gibt es jedoch anzumerken, dass der Begriff „Mulatte“/ „Mulattin“ im Roman ausgeschrieben und weder kursiv, noch in Anführungszeichen, noch mit Anmerkung des Übersetzers, unkommentiert, stehen gelassen wurde. Problematisch ist dies, da der Begriff im Portugiesischen durchaus zur Alltagssprache gehört, im Deutschen jedoch im historischen Kontext und im Hinblick auf seine Bedeutung ein beleidigender Begriff ist. Aufklärung über Verwendung und Bedeutung von kritischen Begriffen insbesondere bei Übersetzungen aus anderen Sprachen, sollten bei aktuellen und neuen Romanen inzwischen selbstverständlich sein.

Zu empfehlen ist der Roman dennoch. Gelesen werden kann er auch von Menschen ohne Vorkenntnisse zur angolanischen Geschichte, da das Buch eine Übersicht politischer Ereignisse und Begriffe enthält, sowie eine Karte Angolas mit den genannten Städten/Orten. Ebenso ist dieses Werk Leser*innen zu empfehlen, die für ungewohnte Schreibstile offen und an politischer Literatur interessiert sind.

José Eduardo Agualusa hat mit seinem neusten Werk wundervolle Arbeit geleistet, er verschafft dem Träumen wieder einen Platz und Wichtigkeit in einer Welt, in der es viel zu oft vergessen wird.

Bewegende Zeilen

„ (…) i rarely cry but every time i write
i shed streams. this is not just poetry.
this is a prayer. (…)“

(S.51, this is not just, Refuge)

Diese Worte beschreiben die Kollektion von Poesie in JJ Bolas Sammelband Refuge sehr treffend. Auch wenn zunächst der Witz und teils umgangssprachliche Zeilen, in den anfangs inhaltlich noch leichten Texten von der Ernsthaftigkeit der Themen Bolas ablenken, wird die Tiefe und der oft sehr politische Ansatz, von Text zu Text, immer deutlicher. Den Auftakt macht er mit the key (S.9in Refuge), hier wird von dem erst verletzten und jetzt verschlossenen Herzen einer Frau gesprochen, teils auch aus ihrer Perspektive, ihr Schmerz beschrieben. Formuliert mit Verständnis, für das sich emotionale Verschließen nach erlebter Verletzung, jedoch bleibende Hoffnung vermittelnd, dass Liebe irgendwann auch wieder zugelassen werden kann.

Die über dreißig Gedichte wirken sehr bewusst angeordnet. Zwischen ihnen wird ein fließender Übergang deutlich, auf von Leichtigkeit geprägte Werke folgen nach und nach von immer mehr Schwere geprägte Gedichte. Von lang bis sehr kurz, ist fast alles dabei, welches jedoch nicht die Aussagekraft der Texte schwächt. Cops and Robbers (S.77 in Refuge) ein Gedicht aus lediglich drei Zeilen bestehend, ist, wenn der lesenden Person der Kontext bekannt ist, ein sehr ergreifendes Werk. Beinahe einer der intensivsten Texte der Sammlung. Bei Cops and Robbers handelt es sich um ein US-amerikanisches Kinderspiel, welches Ähnlichkeiten mit dem deutschen Spiel „Räuber und Gendarm“ hat. Bola lässt es in seinen drei Zeilen präzise Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen anprangern, welche häufig tödlich endet und selbst vor Kindern keinen Halt macht. Dieser Inhalt ist unter anderem ein Beispiel dafür, dass der Autor neben Texten über Liebe und Verlust auch politisch aktivistisch schreibt. Darüber hinaus lässt er häufig gekonnt persönliche Erlebnisse einfließen, wodurch das Publikum auch ohne eigenen Bezug, eine ganz besondere Beziehung zu den Texten aufbauen kann.

Dies ist einer von vielen Inhalten, der den Hintergrund von Schriftsteller, Aktivist und Poet JJ Bola deutlich werden lässt. Als Schwarzer und aktivistischer Mann mit eigener Fluchtgeschichte, thematisiert er Rassismus, Flucht und Männlichkeit auf einer, trotz der Tiefe der Inhalte, sehr verständlichen Ebene. Dies macht den Titel Refuge (Zuflucht) umso passender für den Sammelband. Er besteht unter anderem aus Gedichten, in denen er direkte Bezüge zu seiner eigenen Geschichte herstellt. Diese sehr persönliche Ebene, ermöglicht es auch Leser*innen, welche erst wenige oder gar keine Berührungspunkte mit dieser Thematik hatten, Anschluss zu finden. Dies macht den Band umso empfehlenswerter für alle, die sich nicht vor direkten Worten und offen dargelegten Gefühlen scheuen.

Je weiter man im Gedichtband mit dem Lesen fortschreitet, desto mehr lässt sich nachvollziehen, weshalb Bola seine eigene Poesie, im zu Beginn aufgeführten Zitat, als Gebet beschreibt. In vielen Gedichten gibt er jenen, an die sie gerichtet sind, stärkende, Hoffnung bringende oder tröstende Worte mit. Gibt seinen Werken, somit eine ähnliche Wirkung, wie sie ein Gebet haben kann. Refuge-ein Band der Leser*innen eine Zuflucht bietet.

Düstere Kapitel

Ein Spaziergang durch Lagos, Spannung und angehaltener Atem. So lässt sich das Erleben und Lesen der nigerianische Kurz-Krimis in Lagos Noir beschreiben. Sie sind teils nichts für schwache Nerven und lassen Lesende ein Wechselbad der Gefühle durchleben. Kreative Wendungen, die überraschen können und Spannung bei der manch eine Person am liebsten schon im Voraus das Ende lesen würde. Kurz, düster, durchdacht und intensiv ist Chris Abanis Auswahl an Kurzgeschichten in seinem 2018 veröffentlichten Sammelband. Der preisgekrönte Diaspora-Schriftsteller, versammelt kritische, sowie kreativ schreibende Stimmen nigerianischer Autor*innen, in dieser Fortsetzung der „Noir-Reihe“ des US-amerikanischen Verlags „Akashic Books“. Kennzeichen des „Noir-Genres“ sind Verbrechen, Spannung und ein Ermittler.

„Yet something troubled Sergant Gorewa. In fact, many things troubled him. How could a man escape the bullets from the war in his own country only to be killed by a knife in a strange land?” (S.188, The Walking Stick, Lagos Noir)

Menschen die an offenen oder nicht vorhersehbaren Enden Gefallen finden, sollten sich mit diesem Band der Serie vertraut machen. Er bringt Leser*innen im Laufe der Geschichten oft in Versuchung selber zu ermitteln. Rätsel zu lösen, bevor die Handlung sich dem Ende neigt. Nicht alle Geschichten, entsprechen allerdings den klassischen „Noir-Merkmalen“, was sie jedoch nicht weniger fesselnd werden lässt. Das Wenden der Seiten kann dem Lesepublikum oft nicht schnell genug gehen.

Nnedi Okorafors Werk Showlogo mangelt es, mit seiner allen Gefahren und Mächten trotzenden Hauptfigur, nicht an Spannung. Hierbei erinnert es jedoch mehr an eine Science-Fiction-Story, als an eine Kriminalgeschichte. Killer Ape von Chris Abani hingegen, sticht nicht nur durch den typischen Aufbau und die Verweise auf Sherlock Holmes hervor, sondern auch dadurch, dass der Beitrag zum Band, im Gegensatz zu den mehrheitlich in der Gegenwart situierten Geschichten, in Kolonialzeiten spielt. Im Vergleich, ist es Abanis Kurzgeschichte, welche den Merkmalen einer „Noir-Kriminalgeschichte“ am ehesten entspricht.

Was die Werke teilen ist politisch und gesellschaftskritisch. Sie bringen Lesende nahe an die Geschehen des Lebens in einer der bevölkerungsreichsten Metropolen des afrikanischen Kontinentes.

„His brother would be able to stay in school. His widowed mother would soon be able to retire from her petty trading. Things were on the up. “I did not come to Lagos to admire flyovers,” he told his mother.

“I mean business!”

(S.44, Heavens Gate, Lagos Noir)

Gelesen wird mit allen Sinnen und die ruhelose Atmosphäre der Stadt, wie sie Abani im Vorwort beschreibt, scheint zum Greifen nahe. Dieser Sammelband ist für all jene, die nicht vor etwas ungewöhnlicheren Krimis und starken Bildern zurückschrecken. Für Leser*innen, die gerne (kurz) ihrem eigenen Alltag entfliehen wollen, wird es ein ganz besonderes Geschenk sein, nach diesem Band gegriffen zu haben, denn getragen von Lagos Noirs Worten, können sie sich mühelos in den Straßen der Metropole verlieren. Im Hinterkopf sollte dabei trotz Allem behalten werden, dass es sich bei dem Band um eine Fortführung der kommerziell erfolgreichen „Noir-Reihe“ handelt und demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit Geschichten gewählt wurden, um zu gefallen. Inhalte sind unter Umständen mit dem Anspruch ausgewählt worden, für ein weltweites, insbesondere westlich geprägtes Publikum ansprechend zu sein. Die verschiedenen Texte sind durchaus gesellschaftskritisch, doch bleibt die Frage offen, ob nicht nur an der Oberfläche von vielfältigen Wahrheiten geschürft wurde.

Hätte es Geschichten mit noch kritischeren Stimmen gegeben, die nicht nur unter die Haut, sondern bis in die Knochen gehen? Wenn ja, wäre dieser Band vielleicht nicht nur gesellschaftskritisch und unterhaltsam, sondern auch ein Weckruf geworden.

Und trotzdem hat es Abanis Kollektion von Werken verschiedenster Autor*innen geschafft, dass die Bilder und Geschichten von Lagos Lesenden noch eine Weile im Gedächtnis bleiben.