Rezension zu ausgewählten Kurzgeschichten aus Lagos Noir und vielleicht ein wenig mehr.

In den ausgewählten Kurzgeschichten geht es inhaltlich um Großstadtanekdoten. Das Genre wird bereits im Titel mit „Noir“ deklariert und die geographische Einordnung „Lagos“ entspricht dem tatsächlichen Setting der Erzählungen. Der Sammelband an sich ist zwar nicht direkt als eine Sammlung von Krimi-Geschichten gekennzeichnet, erweckt aber diesen Eindruck durch den Inhalt und die Figuren in einzelnen Werken. Es geht meistens um Polizisten, Detektive, Verbrecher und Verbrechen. Besonders oft um Mord. Jede Geschichte hat einen anderen Autor. Dadurch verstärkt sich die Vielfalt der Charaktere noch mehr. So geht es um ehrliche und um korrupte Polizisten, um nette und um eiskalte Verbrecher. Die verschwommene Grenzen zwischen Gut und Böse sind auch ein Teil des Noir-Genre per Definition.

Die Sprache und die Beschreibungen sind zugänglich für jedes Publikum. Der Leser kann leicht und schnell in die aufgebaute Atmosphäre eintauchen. Es muss auch nicht viel im Hintergrund überlegt werden, um der Geschichte folgen zu können. Nur am Ende jeder Erzählung wird man nachdenklich und sollte die Zeit des Nachgeschmacks genießen.

Literarisch gesehen ist die Qualität zwar variabel, aber in einem akzeptablen Bereich. Die Autoren sind talentiert und beherrschen ihr Handwerk. Die Originalität des Plots und der Charaktere ist nicht unbedingt auf dem höchsten Niveau. Wie soll man auch etwas Neues in einem Genre des „Roman noir“ schaffen, das bereits seit 80 Jahren von zahlreichen Autoren weltweit abgearbeitet wurde? Mit einem korrupten Polizisten oder einem postmortalen Coming-Out des Opfers wird man im 21. Jahrhundert kaum jemanden überraschen können. Auch der Anspruch im Sinne von Postkolonialismus sozialkritisch zu wirken wurde um mehr als 50 Jahre verpasst.

Nehmen wir auch mal die Geschichte „Killer Ape“ von Chris Albani, die originellste Idee, dass ein Affe einen Mann umgebracht hätte und zwar auf eine Weise, die nur einem Menschen zumutbar wäre. Im Jahr 2005, also 13 Jahre früher, wurde eine Episode „Mr. Monk and the Panic Room“ der TV-Krimi-Serie „Monk“ ausgestrahlt, in der ein Affe mit einem Revolver einen Mann angeblich erschossen hätte. Vor ein paar Tagen lief mal diese Episode auch bei ZDF-Neo wieder.

Der Titel „Lagos Noir“ weist darauf hin, dass die Geschichten in dem Band solche sind, die in Lagos passiert sein könnten. Es stellt sich die Frage ob, wenn man nur wenige Attribute wie geographische Bezeichnungen, Namen der Figuren und einige wenige Praktiken austauschen würde, dies nicht genauso Geschichten sein könnten, die in Nairobi, Tel Aviv, Moskau oder Boston passiert sein könnten? Was in den Erzählungen fehlt ist ein tatsächlicher lokaler Bezug. Nur dann könnte man nach dem Lesen sagen, dass man die Metropole Lagos ein wenig mehr kennengelernt hat.

Wem könnte dieser Sammelband und die komplette dazugehörige Noir-Serie aus dem Verlagshaus Akashik gefallen? Jeder der Bände fokussiert sich auf eine andere globale Großstadt. Zielgruppe könnten in erster Linie Touristen sein, die durch die Lektüre ein Stück der lokalen Atmosphäre mitnehmen könnten, in einer Kurzgeschichte mal den bekannten Namen der Straße oder des Bezirks wiedererkennen und einen Aha-Effekt „Hey! Da sind wir doch vorbei gegangen!“ haben. Echte Fans könnten sogar die ganze Serie der Sammelbände abarbeiten und systematisch jeden erwähnten Ort in jeder Kurzgeschichte besuchen. Die zweite Zielgruppe wäre jung und in Noir sowie in Krimi Genre unerfahren. Für sie wäre das Ganze sehr lesenswert, neu und überraschend. Die dritte Gruppe der Leser, vielleicht die größte, wären einfach Menschen, die gerne gute Geschichten lesen. Sie wollen einfach der reellen Welt für ein paar U-Bahn-Stationen entfliehen und ein Detektiv oder ein Gangster im weiten Lagos werden.

Düstere Kapitel

Ein Spaziergang durch Lagos, Spannung und angehaltener Atem. So lässt sich das Erleben und Lesen der nigerianische Kurz-Krimis in Lagos Noir beschreiben. Sie sind teils nichts für schwache Nerven und lassen Lesende ein Wechselbad der Gefühle durchleben. Kreative Wendungen, die überraschen können und Spannung bei der manch eine Person am liebsten schon im Voraus das Ende lesen würde. Kurz, düster, durchdacht und intensiv ist Chris Abanis Auswahl an Kurzgeschichten in seinem 2018 veröffentlichten Sammelband. Der preisgekrönte Diaspora-Schriftsteller, versammelt kritische, sowie kreativ schreibende Stimmen nigerianischer Autor*innen, in dieser Fortsetzung der „Noir-Reihe“ des US-amerikanischen Verlags „Akashic Books“. Kennzeichen des „Noir-Genres“ sind Verbrechen, Spannung und ein Ermittler.

„Yet something troubled Sergant Gorewa. In fact, many things troubled him. How could a man escape the bullets from the war in his own country only to be killed by a knife in a strange land?” (S.188, The Walking Stick, Lagos Noir)

Menschen die an offenen oder nicht vorhersehbaren Enden Gefallen finden, sollten sich mit diesem Band der Serie vertraut machen. Er bringt Leser*innen im Laufe der Geschichten oft in Versuchung selber zu ermitteln. Rätsel zu lösen, bevor die Handlung sich dem Ende neigt. Nicht alle Geschichten, entsprechen allerdings den klassischen „Noir-Merkmalen“, was sie jedoch nicht weniger fesselnd werden lässt. Das Wenden der Seiten kann dem Lesepublikum oft nicht schnell genug gehen.

Nnedi Okorafors Werk Showlogo mangelt es, mit seiner allen Gefahren und Mächten trotzenden Hauptfigur, nicht an Spannung. Hierbei erinnert es jedoch mehr an eine Science-Fiction-Story, als an eine Kriminalgeschichte. Killer Ape von Chris Abani hingegen, sticht nicht nur durch den typischen Aufbau und die Verweise auf Sherlock Holmes hervor, sondern auch dadurch, dass der Beitrag zum Band, im Gegensatz zu den mehrheitlich in der Gegenwart situierten Geschichten, in Kolonialzeiten spielt. Im Vergleich, ist es Abanis Kurzgeschichte, welche den Merkmalen einer „Noir-Kriminalgeschichte“ am ehesten entspricht.

Was die Werke teilen ist politisch und gesellschaftskritisch. Sie bringen Lesende nahe an die Geschehen des Lebens in einer der bevölkerungsreichsten Metropolen des afrikanischen Kontinentes.

„His brother would be able to stay in school. His widowed mother would soon be able to retire from her petty trading. Things were on the up. “I did not come to Lagos to admire flyovers,” he told his mother.

“I mean business!”

(S.44, Heavens Gate, Lagos Noir)

Gelesen wird mit allen Sinnen und die ruhelose Atmosphäre der Stadt, wie sie Abani im Vorwort beschreibt, scheint zum Greifen nahe. Dieser Sammelband ist für all jene, die nicht vor etwas ungewöhnlicheren Krimis und starken Bildern zurückschrecken. Für Leser*innen, die gerne (kurz) ihrem eigenen Alltag entfliehen wollen, wird es ein ganz besonderes Geschenk sein, nach diesem Band gegriffen zu haben, denn getragen von Lagos Noirs Worten, können sie sich mühelos in den Straßen der Metropole verlieren. Im Hinterkopf sollte dabei trotz Allem behalten werden, dass es sich bei dem Band um eine Fortführung der kommerziell erfolgreichen „Noir-Reihe“ handelt und demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit Geschichten gewählt wurden, um zu gefallen. Inhalte sind unter Umständen mit dem Anspruch ausgewählt worden, für ein weltweites, insbesondere westlich geprägtes Publikum ansprechend zu sein. Die verschiedenen Texte sind durchaus gesellschaftskritisch, doch bleibt die Frage offen, ob nicht nur an der Oberfläche von vielfältigen Wahrheiten geschürft wurde.

Hätte es Geschichten mit noch kritischeren Stimmen gegeben, die nicht nur unter die Haut, sondern bis in die Knochen gehen? Wenn ja, wäre dieser Band vielleicht nicht nur gesellschaftskritisch und unterhaltsam, sondern auch ein Weckruf geworden.

Und trotzdem hat es Abanis Kollektion von Werken verschiedenster Autor*innen geschafft, dass die Bilder und Geschichten von Lagos Lesenden noch eine Weile im Gedächtnis bleiben.

Unberechenbar, gefährlich, Lagos.

Lagos. Die größte Stadt Nigerias mit über 22 Millionen Einwohnern. Der Band ‚Lagos noir‘ gibt uns einen Einblick in die dunklen Seitengassen dieser Stadt, überschwemmt von Chaos und Kriminalität. Auf den Inseln Ikoyi und Victoria Island sieht man eine positive Veränderung. Dort dennoch, hat sich nun die Elite angesiedelt. Für sie sieht es sonniger aus als für manch andere in Lagos. Die ärmere Bevölkerung hat immer noch mit denselben Problemen zu kämpfen. Ohne Geld wird man von Lagos gefressen. Geld ist Sicherheit. Sicherheit gibt einem die Polizei. Hat man dennoch kein Geld, erhält man auch keinen Schutz.

Dass Polizisten sich bestechen lassen, ist in den Geschichten aus Lagos noir Alltag. Eine Hand wäscht die andere. Bereist die erste Kurzgeschichte erzählt von der verbreiteten Korruption im Polizeisystem Nigerias. What They Did That Night handelt davon, wie der Unteroffizier Gabriel eine Bande auf frischer Tat ertappen will. Doch er ahnt er nicht, was für schwere Steine ihm in den Weg gelegt werden. Erstklassig von dem nigerianischen Schriftsteller Jude Dibia, der in Lagos geboren wurde, geschrieben. Dibia ist einer der populären Autoren in Afrika. Er wurde bekannt durch seine speziellen und in Afrika überragenden Themen. Sein in 2007 veröffentlichter Roman Walking with Shadows erzählt von der Homosexualität unter verheirateten Männern in Afrika.

In Lagos noir schreibt der Herausgeber Chris Abani über Homosexualität in Nigeria als Mordmotiv und gesellschaftlichem Tabu. Dies ist ein schwieriges und noch nicht anerkanntest Thema im Land. Wenn ein Autor über diese Problematik schreibt, zeigt er wahren Mut. In Killer Ape ist die Hauptfigur ein homosexueller Polizeiermittler namens Okoro, dessen Vorbild Sherlock Holmes ist. Er beschließt seinen Fall zu fälschen. In Schwierigkeiten geraten will er nicht. „This was one of those moments when he was grateful there was a line to toe.“, der finale Satz der Erzählung und somit die finale Entscheidung von Okoro. Abani ist ein weltbekannter und geliebter nigerianischer Diaspora Autor, der für sein Werk schon mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. In einer seiner populärsten Fiktionen The Secret History of Las Vegas soll Detektiv Salazar Mordtaten ermitteln und trifft dadurch auf viele dunkle Geheimnisse der Stadt. Als Herausgeber von Lagos noir bringt Abani Autoren zusammen, die großartig schreiben und alle Lagos selbst erfahren haben. Nicht nur prominente Autoren wie A. Igoni Barrett durften zum Band Lagos Noirbeitragen, auch „Neulinge“ haben ihren Platz in diesem Sammelband, der afrikanischen Kriminal- und Stadtliteratur in sich vereint.

A. Igoni Barrett ist ein junger Autor und Kurzgeschichten sind sein Ding. Für Lagos noir schrieb er eine kurze Story über eine große, fette Ratte die einen Mann verfolgt.

Alle Kurzgeschichten des Bandes zeigen uns andere, persönliche Schwierigkeiten, mit denen die Einwohner Lagos’ konfrontiert werden. Die Probleme erstrecken sich von Korruption im Polizeisystem bis hin zum Post-Kolonialismus. Die Geschichten spiegeln die Ängste und Sorgen der Bevölkerung wider und hinterlassen unweigerlich Spuren bei den Lesenden.

Lagos noir veranschaulicht tiefergehende Probleme, zusammengebracht in einzelnen Erzählungen von Autoren mit diversem Hintergrund. Viele der Stories implizieren eigentlich genau das, was man als westliche Person über Afrika denken würde. Chaos, Betrug, Korruption. Und die Bevölkerung von Furcht erdrückt. Einzelne Geschichten lassen einen buchstäblich kurz den Atem anhalten. So in Heavens Gateverfasst von der nigerianisch-belgischen Schriftstellerin Chika Unigwe. Zu Beginn der Geschichte wird die „Gesetzeslage“ in Lagos wie folgt zusammengefasst: “Lagos police and commercial drivers had an unwritten agreement: the latter were fair in the amounts of bribes they gave and the former never assaulted them.”.

Es ist erschreckend wie dort alles geregelt wird. Was wir im Westen als ’normal‘ betrachten, wird in Lagos bewusst abgelehnt. Dort herrschen andere Regeln. Dort geht es um das eigene Überleben. Hier wird nicht unbedingt nach dem Gesetz gelebt. Das Gesetz wird jedes Mal betrogen. Zugunsten des eigenen sicheren Lebens. Schuldige sind ‚unschuldig‘ und man versichert sein Leben indem man Polizisten bezahlt. Geld regelt in Lagos den Status. Wer mehr hat, der ist auch mehr wert. Die Kluft zwischen arm und reich ist groß. Der Hass der ärmeren Bevölkerung auf die Elite ist enorm, wie besonders in Dibias Geschichte gelungen dargestellt wird. Die Oberschicht hat viel Geld und somit weniger Probleme. Wie groß der Einfluss der Elite ist, beschreibt Abani in Killer Ape.

Das Genre Fiktion ’noir‚ (Roman ‚noir‘) schließt in diesem Band Kriminal- sowie Stadtliteratur ein. Die Kriminalliteratur ist eine postkoloniale Literatur, adaptiert aus der westlichen Welt und gehört dennoch mittlerweile zu den attraktivsten Unterhaltungsgenres Afrikas, in denen die jeweiligen lokalen Realitäten widergespiegelt werden. Fiktion ‚noir‘ gibt es schon länger auf dem Markt, erreichte jedoch seit dem Jahr 2000 einen besonderen Aufschwung. Lagos noir stellt mit seinen Kurzgeschichten die Justiz sowie Gesellschaftsordnung Nigerias in Frage.

Auch als Stadtliteratur ist Lagos noir ein attraktiver Band. Die Autoren lassen uns in jeder Ecke von Lagos, Mäuschen spielen, sei es in Randgebieten oder mittendrin in der lebendigen Stadt. Alle Figuren sind von der Stadt geprägt und alle Geschichten spielen sich nie außerhalb des ausgewählten geographischen Raumes ab. Nnedi Okorafor, eine nigerianische-amerikanische Schriftstellerin, hat für den Band eine Geschichte über einen außergewöhnlich interessanten Charakter geschrieben und seine Umgebung gut rübergebracht. Dieser heißt Showlogo und er arbeitet auf einer Farm in der Stadt. Ich fand den Mann mit den Superkräften auf Anhieb sympathisch. Okorafor besitzt das kostbare Talent, als Autorin die Figuren einer Story, dem Lesenden nahe zu bringen.

Genau das macht dieses Buch so effektvoll. Als Lesende erhält man einen gekonnten Überblick über die Stadt. Man lernt die einzelnen Stadtviertel kennen, deren Eigenschaften und deren Leute. Man erfährt, wo die Elite wohnt und wo Armut herrscht. Wir lernen die Einwohner Lagos kennen. Jedes Mal aus einem anderen Blickwinkel. Durch den Stil der verschiedenen Autoren ist jede Kurzgeschichte auf ihre spezielle Art und Weise immer wieder eine unerwartete Überraschung. Es ist auch interessant zu sehen worüber die einzelnen Autoren schreiben. Wer sieht wo Probleme in der Gesellschaft von Lagos und wo Gefahr? Es gibt Überschneidungen bei den Autoren, ebenso Unterschiede. Als Leserin möchte ich direkt eine Kurzgeschichte nach der anderen lesen. Die Kurzgeschichten sind an eine Leserschaft gerichtet, die nicht 300 Seiten mit ein und derselben Geschichte verbringen wollen, sondern die Abwechslung lieben. Dieser Sammelband ist für die Lesenden unter uns, die unerwartete Wendungen mit dunklem Touch interessant finden. Die jedes Mal erneut die Neugier antreibt, was diesmal Unglaubliches in Lagos passiert ist. Das Buch bleibt durchgehend spannend und aufregend. Die Vielfalt der Kurzgeschichten von unterschiedlich erfinderischen Autoren, schaffen es jedes Mal, leuchtende Augen zu erzeugen und bleiben tief im Gedächtnis haften. So eine bunte Palette an eindrucksvollen Krimi-Kurzgeschichten über Lagos finden wir wirklich nur in diesem Taschenbuch.

Lagos noir ist Teil der weltbekannten City noir Buchserie von ‚Akashik Books‚. Diese Krimireihe hat insgesamt großen Erfolg erlangt und sogar einen Award erhalten. Crime Fiction erzählt aus aller Welt, von Berlin bis nach Lagos. Die Geschichten sind in erstklassigem Stil geschrieben und strahlen pure Lebendigkeit aus. Die Lesenden werden zum Teil der Stadt und ihrer Schattenseiten. Lagos noir ist spannend zu lesen, da der Ansatz von Problemlösung gegen die Kriminalität sehr speziell ist und man jedes Mal über den Ausgang der Geschichte verblüfft wird. Lagos ist eine einprägsame, gefährlich schöne Stadt. Der Band Lagos noir ist für ein Publikum interessant, das etwas Neues lesen will, das anders ist als die gewöhnlichen, bekannten Krimi-Stories. Auf jeden Fall ein Muss für alles Crime Fiction Fans unter uns.

Rezension „Lagos Noir“ Kurzgeschichten aus Nigeria zusammengestellt von Chris Abani

Zwischen genial fantastisch und vorhersehbar changieren die von Chris Abani in 2018 in „Lagos Noir“ zusammengestellten Kurzgeschichten. Was Abani gelingt, ist ein vielfältiges, breitgefächertes Bild einer der größten Metropolen des Kontinents zu zeichnen. Jedes „Verbrechen“ wird in einem anderen Stadtteil begangen, der_die Leser*in empfindet die schwülen Nächte des auf einem Motoradtaxi zum Tatort fahrenden Kommissars mit, fiebert mit Spannung der Auflösung des Falls entgegen. Nicht immer endet die Geschichte wie erhofft, wie erwartet; einige Wendungen muten doch etwas konstruiert an, bedienen Klischees. Und doch tauche ich immer wieder mit Neugier in jeden der Plots ein. Chris Abani, dessen Vater aus Nigeria stammt, beschreibt im Vorwort zu seinem Sammelband wie die Stadt Lagos zunächst nur ein Ort in seiner Vorstellung war, bis er selbst Zeitzeuge der Stadt wurde, die nie schläft und noch wach ist, „wenn New York in einem lang anhaltenden Gähnen verklingt“.

Wie realitätsnah oder –fern die 13 Geschichten sind, bleibt offen, wie es das Genre der Fiktion vorgibt und doch möchte ich erfahren, ist das Alltag? Die Schikane der Polizisten am Straßenrand? Oder: Kann es sein, dass jemand den Sturz aus einem zur Landung ansetzenden Flugzeug überlebt? Der Sammelband ist in drei verschiedene Teile gegliedert und entführt uns in die Welt der Polizisten und Diebe sowie der Tötungsdelikte im Familienkreis. Das dritte Kapitel ist mit „Ankunft und Abflug“ betitelt, wobei die Einteilung in diese drei Kategorien willkürlich erscheint: Was hat ein Killeraffe mit der Ankunft eines schwulen Kommissars zu tun?

Für Liebhaber des Genres und Afrikainteressierte ist dieses Buch eine leichtgängig Lektüre ohne viel Tiefgang, welche doch Einblick in eine Stadt gibt, die als eine der gefährlichsten des Kontinents gilt: Widersprüchlich und schillernd.

Literature noir aus Nigeria

Im Sammelband von Kurzgeschichten Lagos noir wird das Stadtgeschehen der nigerianischen Megametropole Lagos, die mit 21 Mio. Einwohnern neben Kairo zu den größten Städten des Kontinents zählt, auf vielfältige Art und Weise porträtiert. Das Lesen des Sammelbandes ist wie eine virtuell-literarische Reise durch die Stadt, jede Geschichte nimmt Bezug auf ein anderes Stadtviertel mit dessen Geschichten und Menschen .

Herausgegeben vom unabhängigen Verlag „Akashic Books“ aus Brooklyn/ New York, war Lagos Noir der erste Band, der sich afrikanischen Stadt in der preisgekrönten ausgezeichneten kommerziellen Serie „Akashic Noir“ widmet. Der Verlag erlangte 2004 mit dem ersten Buch Brooklyn Noir Bekanntheit. Nachdem die Serie zunächst Metropolen im US-amerikanischen Raum porträtierte , expandierte sie in den folgenden Jahren nach Europa, Südamerika, Asien und Afrika. Seitdem wurden Bände aus aller Welt mit Noir-Geschichten aus verschiedenen Hauptstädten und Metropolen zusammengestellt, die Reihe wurde erfolgreich und bei einer internationalen Leserschaft beliebt.

Der Herausgeber des Sammelbandes ist der 1966 in Nigeria geborene preisgekrönte Autor Chris Abani. Vor seiner Emigration, zunächst nach Großbritannien und dann in die USA, wurde er dreimal wegen regierungskritischer Aktivitäten verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Man meint, diese Erfahrungen mit Polizeigewalt und Korruption in der Auswahl der Kurzgeschichten zu spüren.

Die Autor*innen der 13 Geschichten des Sammelbandes sind alle nigerianischer Abstammung, fast alle schreiben aktuell aus der Diaspora. Der Sammelband gliedert sich in die drei Teile „Cops and Robbers“, „In a Family Way“ und „Arrivals and Departures”. Aus der guten und vielfältigen Auswahl von Kurzgeschichten stechen einige nochmal besonders heraus: die Geschichte „Killer Ape“ von Chris Abani selbst, „Heaven´s Gate“ von Chika Unigwe und „Showlogo“ von der bekannten nigerianisch-amerikanischen Autorin Nnedi Okrafor sind Highlights in einem Band von Geschichten, die sich durchweg durch ein hohes Niveau auszeichnen.

„Showlogo“ ist die witzigste und skurrilste Geschichte des Bandes, in einer spannenden und kurzweiligen Art und Weise geschrieben, sprachlich sehr bunt. Ein Mann fällt nahe Chicago vom Himmel. Er heißt Showlogo und der Name ist Programm. Die Autorin porträtiert ihren Protagonisten ausführlich, führt die Leserschaft in seine Lebensgeschichte ein. Wie er den als Fluchtversuch geplanten Langstreckenflug im Landungsgestell des Flugzeuges von Nigeria in die USA überlebt, hat einen irreal-wundersamen Charakter – Showlogo ist unbesiegbar.

„Killer Ape“ – als einzige Kurzgeschichte neben der Einführung vom Herausgeber selbst verfasst – entführt die Leserschaft in die Welt der britischen Expat-Community der 1950er Jahre und behandelt das Thema des Kolonialismus. „Killer Ape“ spielt auf der Insel „Ikoyi“ bei „Lagos Island“, die in der Kolonialzeit von Europäern bewohnt war. Heute finden sich dort die Häuser mit den höchsten Grundstückpreisen Afrikas, der Wohnsitz mehrerer Präsidenten befand sich in dem Stadtteil. In der Kurzgeschichte ermittelt der charismatische Kommissar Okoro nach den Methoden seines Vorbildes Sherlock Holmes. Als heimlicher Homosexueller hat Okoro sofort den richtigen Impuls: er erspürt die Liebesgeschichte eines britischen Hausherren zu seinem schwarzen Angestellten und entlarvt den wohl skurrilsten vorgeführten Tatverdächtigen des Sammelbandes – einen Affen – als unschuldig. Statt jedoch die eifersüchtige Täterin – die Ehefrau – festzunehmen, spielt Okoro das Spiel mit, die bourgeoise und rassistische gesellschaftliche Ordnung bleibt erhalten.

Chika Unigwe, eine belgische Schriftstellerin nigerianischer Abstammung, veröffentlichte mit „Heaven´s Gate“ eine der berührendsten Geschichten des Sammelbandes. Emeka ist ein junger Mann, der ohne Mittel nach Lagos gekommen war und mit Hilfe eines reichen Geschäftsmannes eine Business-Idee verwirklicht. Als Okada-Fahrer (die typischen Motorradtaxis, die es überall in Lagos gibt) macht er nächtliche Zusatzschichten, um der neuen Frau in seinem Leben die Chance auf eine eigene Wohnung zu ermöglichen. Mit den Regeln der korrupten Polizei meint er sich auszukennen, aber eines Nachts gerät er an den falschen Polizisten… Die Polizei von Lagos wird in „Heaven´s Gate“ „die Wölfe“ genannt. Typisch für das Noir-Genre ist die Polizei auch hier wie in den wenigsten Geschichten integer; in den meisten Geschichten verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, die Polizei fungiert als weitere kriminelle Kraft neben den allgegenwärtigen Verbrecherbanden. In „What they did that night“ von Jude Dibia muss Corporal Gabriel am Ende der Geschichte sogar erfahren, dass er allein auf weiter Flur gegen die Gangstergang ermittelt hat; nicht nur sein Chef und seine Kollegen haben mit der Gangsterbande kollaboriert, sogar seine eigene Ehefrau hat gegen ihn gearbeitet.

Alle Geschichten aus „Lagos Noir“ spielen im Lagos des 21. und vereinzelt des 20. Jahrhunderts und behandeln übergreifende Themen, kondensiert auf wenigen Seiten mit kurzen Einblicken. Die bestimmende Themen des Bandes sind allesamt aktuell und modern: es geht um den gravierenden Kontrast von Arm und Reich in der Stadt, um Aufstieg durch Ölgeschäfte im Nigerdelta, um das Leben im Flüchtlingscamp, um die allumgreifende Korruption und immer auch um Zwischenmenschliches. Die Leserschaft wird an verschiedene Orte und Lebensrealitäten von Lagos entführt. Transportiert wird ein vielschichtiges und dichtes Bild der Stadt in vielen Bildern und Metaphern: Lagos als Stadt der Träume, als Stadt, die niemals schläft, als Stadt der unzerstörbaren Lagos-Ratten… Der Sammelband ist kurzweilig, vielfältig und originell und somit interessant zu lesen nicht nur für Krimiliebhaber*innen und Großstadtfans, sondern auch als Vorbereitung auf eine Reise nach Lagos.