Eine Pflichtlektüre

Es gibt keine afrikanische Literatur, es gibt keine europäische Literatur, keine amerikanische oder asiatische. Es gibt nur schlechte Literatur oder gute Literatur, schwache Literatur oder starke, langweilige oder atemberaubende, wie den Roman von David Diop Nachts ist unser Blut schwarz.

Zurecht genießt der Autor mit senegalesischen Wurzeln die begeisterten Stimmen zu seinem Roman. Zurecht darf er französischsprachige afrikanische Literatur an der Universität Pau unterrichten. Er weiß, er hat verstanden, wie die Literatur sein sollte.

„Ich habe nur entfernt, was nicht dazu gehörte.“
– Michelangelo

Was entfernte denn David Diop aus seinem Roman? Die langweilige Einleitung mit der zögernden Beschreibung der Figuren, der Landschaften, des historischen Kontextes. Es geht gleich mit voller Wucht rein ins Geschehen, rein in die kreisenden und doch klaren Gedanken des Protagonisten. Es geht um den Krieg, es geht um einen Soldaten im Krieg, der soeben seinen besten Freund verloren hat und darum dass er sich Vorwürfe macht, dass er das Leiden des schwer verwundeten Freundes nicht verkürzen konnte.

Man findet in dem Roman keine kitschige Konstellationen, keine vorhersehbaren Entwicklungen. Es ist eine Spannung in den Buchstaben, die den Leser dazu zwingt die Kontrolle aufzugeben und sich einfach von dem Gedankenstrom des Hauptcharakters mitreißen zu lassen. Von einem Gedankenstrom, der die Hauptfigur zu merkwürdigen Taten verleitet, aber auch zu pragmatisch hochpräzisen Feststellungen.

Trotz des vermeintlichen Siegels der „afrikanischen Literatur“ schafft Diop tatsächlich den typischen und floskelartigen anti-rassistischen Zeigefinger komplett zu ersparen. Auch die afrikanische Kulissen sind so harmonisch und natürlich eingewebt, dass der europäische Leser kaum das Gefühl bekommt, dass es sich dabei um etwas Fremdes und Exotisches handeln könnte. Das Nachvollziehen der Umstände und Geschehnisse aus der Kindheit und Jugend des Soldaten fällt einem ziemlich leicht dank der universalen humanistischen Sprache, wo es einfach um die Menschen geht mit all seinen Freuden, Ängsten, Träume und Wunden.

Die sozialkritische Funktion des Romans bzw. sein Beitrag zu der äußeren und inneren Befreiung des Menschen als Individuum lässt das Werk als klar humanistisch und aufklärerisch Bezeichnen.

„Nachts ist unser Blut schwarz“ kann jedem empfohlen werden. Es ist nicht nur ein Vergnügen an originellen Formen und Gedanken, sondern auch ein guter moralischer Uhrenabgleich, der vielleicht ein Teil des Schulprogramms werden sollte.

Vergessene Erinnerung

Gewalt. Tod. Trauer.

Diese drei Worte beschrieben die Erfahrungen Alfa Ndiayes, eines sogenannten Senegalschützen, im Ersten Weltkrieg an französischer Front, sehr genau. Ein junger Mann, der seinen „Seelenbruder“, Mademba Diop, in diesem Krieg verliert. Der sehr kurze, aber von der französischen Kritik dennoch gefeierte Roman, Nachts ist unser Blut schwarz, von David Diop, soll einen vergessenen Teil der europäischen Kriegsgeschichte aufarbeiten. Größtenteils fiktiv, wird fast schon wie aus einem poetischen Tagebucheintrag oder Brief, aus der Sicht eines schwarzen westafrikanischen Soldaten erzählt. Diop selbst hat franko-senegalesischen Wurzeln und arbeitet als Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Auch im literaturwissenschaftlichen Bereich setzte er bereits Schwerpunkte auf die europäische Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents.

Der in der deutschen Übersetzung, für manche, vielleicht etwas ungewohnte Rhythmus, unterstreicht, das Berichten des Hauptcharakters, auf einer anderen Sprache. Diop füllt hiermit eine literarische, wenn nicht sogar historische Lücke, da oftmals nur Perspektiven von weißen europäischen Soldaten bekannt sind. Hierbei legt er den Fokus sehr bewusst auf die damals gezielte Darstellung von schwarzen Männern, als „angsteinflößende Wilde mit Machete“. Nach dem Tod Madembas, durch eine deutsche Kugel, gerät Alfa in einen sehr brutal geschilderten Vergeltungsrausch. In diesem wird er sich der ihm auferlegten Rolle bewusst und nutzt sie zu seinem Vorteil, welcher ihn jedoch nach und nach unter den eigenen Kameraden zum Gefürchteten werden lässt. Das Sammeln abgetrennter Feindeshände, führt schließlich zu seiner Versetzung, in ein Rehabilitationslager. Diop verspinnt diese physische Reise und Entwicklung Alfas, geschickt mit der zunehmenden Reflexion von seiner Gegenwart, bis in die eigene Vergangenheit. Spiritualität, Freundschaft, Liebe und die Frage nach Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit, welche die rudimentärsten Züge einer jeden Person zum Vorschein bringt, sind weitere zentrale Themen. Während tödliche Kugeln schwarze, so wie weiße Leben, auf dem Schlachtfeld, letztendlich wieder gleichwertig machen. Lesenden wird ein Einblick in bisher viel zu selten besprochene Lebenswelten der Vergangenheit ermöglicht. Einen Blick auf den Ersten Weltkrieg, aus einer neuen Perspektive.

Auf Grundlage der deutschen Übersetzung, jedoch ohne das französische Original zu kennen, ist Kritik an ausformulierter und ohne Erläuterung stehen gelassener, rassistischer Sprache zu üben. Zum N-Wort, so, wie Weiteren in der deutschen Sprache beleidigenden Begriffen, gibt es keinen zusätzlichen Vermerk im Buch, welcher ihre Nutzung in der deutschen Ausgabe begründet oder wenigstens erklärt. Insbesondere nach der Debatte zu rassistischer Sprache in der deutschen Kinderliteratur von 2013, sollten Verlage inzwischen sensibilisierter, zumindest aufgeklärter sein.

Trotzdem ist dieser Roman, für alle, die einen fiktiv-historischen Roman mit einer sich ständig wandelnden Hauptfigur wollen, sehr zu empfehlen. Sowie für ein Publikum, das nicht vor intensiven und gewaltvollen Bildern, Geschichten in Geschichten und unerwarteten Wendungen zurückschreckt.

Mit Nachts ist unser Blut schwarz, lässt David Diop fast vergessene Erinnerungen wieder aufleben. Seine Worte führen uns vor Augen, wie einseitig Geschichte geschrieben wurde und wird.

„Er hat gesagt er ist zugleich der Tod und das Leben“

David Diop, geboren am 24. Februar 1966 in Paris und im Senegal aufgewachsen, ist Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und unterrichtet französische Literatur an der Universität Pau in Frankreich. Nachts ist unser Blut schwarz ist sein zweites Buch und gewann in Frankreich den ‚Prix Gouncourt des Lycéens 2018′. Der Roman wurde schnell beliebt und wurde als faszinierende Literatur gefeiert. Im Roman erörtert Diop die Humanität in inhumanen Zeiten und zieht die Leser ins tiefste Innere der dunklen und grausamen Tage des Krieges. Seine Inspiration für den Roman, entstand aus einer Lektüre persönlicher Briefe (gesammelt von Historiker Jean-Pierre Guéno) aus dem ersten Weltkrieg von französischen Soldaten, die ihre Gefühle und Gedanken während des Kampfes zwischen 1914 und 1920 auf Papier niederschrieben. Briefe von Senegalschützen (Soldaten aus dem Kolonialreich Frankreichs in West- und Zentralafrika), die für die französische Armee kämpften waren die Inspiration. Diop verfasste einen fiktiven Text, der die Gefühle und Gedanken eines afrikanischen Soldaten wiedergibt. Durch das literarische Mittel der „erzählenden Gedanken“ entsteht eine innigere und persönlichere Ebene, die die Zeit des Grauens umso mehr verdeutlicht und den Lesenden zur Empathie zieht.

Im Roman schauen wir in Alfa Ndiaye’s Gedanken hinein. Ndiaye ist ein schöner afrikanischer Soldat aus dem Senegal, Sohn eines alten Mannes, und ein echter Kämpfer.

Das Buch fängt damit an, dass Ndiaye seinen besten Freund, seinen Seelenverwandten Mademba Diop beim Kampf gegen die deutsche Armee verliert. Er fühlt sich schuldig und will sich ändern, für Mademba. Ndiaye wird brutal und unberechenbar. Aus Rache am Tod von Mademba tötet Ndiaye die Feinde barbarisch und sammelt feindliche Hände wie Trophäen. „Für alle, schwarzen und weißen Soldaten, wurde ich der Tod., alle nennen ihn den Seelenfresser (dëmm), einen Hexenmeister. Selbst vor seinem Blick haben sie alle Angst. Verwirrung: „Bis zur dritten Hand war ich ein Kriegsheld mit der vierten wurde ich ein gefährlicher Wahnsinniger, ein blutrünstiger Wilder. Bei der Wahrheit Gottes, so sind die Dinge, so ist die Welt: Alles hat zwei Seiten..

Der Einzige, der zu ihm hält ist sein französischer Kriegskamerad Jean-Baptiste, dieser stirbt leider seinerseits einen hässlichen Tod auf dem Schlachtfeld. Ndiaye war nun komplett alleine und hörte mit seinem grausamen Rachezug nicht auf:Bei der Wahrheit Gottes, ich habe gewusst, ich habe verstanden, was ich zu tun hatte.. Obwohl viele Ndiaye fürchten, hatte er ebenso viele Verehrerinnen und Verehrer. Ohne Worte kann er ‚alle‘ von sich beeindrucken: Ich lächle die anderen an, und sie lächeln zurück., „Bei der Wahrheit Gottes, ich weiß, dass ich schön bin, alle Augen sagen es mir.

Ndiaye, ein 20jähriger junger Mann, der von Tag zu Tag erwachsener wird und sich selber kennenlernt: Wo bin ich? Mir ist, als kehrte ich von weither zurück. Wer bin ich? Das weiß ich noch nicht.. Er ist überfordert mit der Gesamtsituation und handelt so, wie er es für richtig hält. Ndiayeachtet auf keine andere Meinung und verarbeitet seinen Schock wie er das möchte. Durch all diese Erfahrungen im Krieg und außerhalb des Schlachtfeldes erfindet sichNdiayeneu, er wird erwachsen und wächst. Ganz besonders liegt der Fokus für ihn auf seinem Körper: Mein Körper sagt mir, dass ich ein Ringkämpfer bin, und das genügt mir. …Mir genügt es von nun an völlig, die Kraft meines neuen Körpers zu entdecken..  Der Roman veranschaulicht die Entwicklung des jungen Soldaten, physisch sowie psychisch. Alfa Ndiaye lebt seit dem Tod von Mademba Diop für beide: Bei der Wahrheit Gottes, ich schwöre dir, so wie ich uns denke, ist er ich, und ich bin er..

Wie zuvor erwähnt, istNdiaye ein Junge, der seinen Schock und die Erfahrungen des ersten Weltkrieges auf eigene Weise verarbeitet und zum Mann heranwächst.

Trotz seiner Barbarei macht Ndiaye einen sympathischen Eindruck beim Leser. Die Gedankenzüge des jungen Soldaten erscheinen einem mal naiv, mal klug, mal gegensätzlich und mal verständnisvoll. Er denkt oft an Gott und spricht innerlich zu ihm. Er spricht nie seine Gedanken laut aus und lässt seine Offenheit von Gefühlen im Zaum. 

Ndiaye liebt (schöne) Frauen und sieht sogar im Kriegsgraben das Merkmal einer Frau: …als ich ganz nah am gegnerischen Graben ankam, der wie unserer offen dalag wie das Geschlecht einer riesigen Frau, einer Frau so groß wie die Erde.. Er erzählt uns von seiner Liebesnacht und weiß, dass nur ein Blick der Frau auf die Mitte seines Körpers nach Lust ruft: Ich weiß ich habe verstanden, mir wurde klar, dass sie mit mir schlafen wollte.

Im Roman bemerkt man, dassDiopmit Wiederholungen gearbeitet hat. Bestimmte Aussagen und kleinere Absätze wurden direkt auf der nächsten Seite nochmal wiedergegeben. Dies dient dazu, den Lesern das Gedankenspiel realistischer darzustellen. Denn, die Gedanken sind bei einem Menschen nie strukturiert und geordnet. Die Gedanken wechseln, wiederholen und ändern sich. Ich finde dies kreativ gestaltet und interessant zu lesen. Diese Repetitio stört keinesfalls, sie gibt dem Roman einen realistischen Touch. Immer wieder kehrende Satzanfänge die mir persönlich aufgefallen sind, gefallen haben und den Roman bis zum Schluss ausgezeichnet haben: Ich weiß, ich habe verstanden…, „Bei der Wahrheit Gottes…. Satzanfänge, wahrhaft und passend zur Persönlichkeit des Soldaten gewählt: Ndiaye’s Verbindung zu Gott, seine Ehrlichkeit und sein Selbstbewusstsein.  

Das einzig Negative, das mir auffiel, waren manche Begriffe, dieDiopverwendete, wie ‚Schokosoldaten‘, ‚Schokomohren‘. Wahrscheinlich sollen diese Bezeichnungen darauf hindeuten, wie die Afrikaner früher von der westlichen Welt genannt und behandelt wurden.

Zum Schluss jedoch, möchte ich diesen Roman weiterempfehlen. Er ist lesenswert und speziell geschrieben. Ich finde das fiktive Erzählen toll gewählt und sehr passend. Dieser Roman liest sich wie ein Tagebuch, das man aus alter Kriegszeit gefunden hat. Intim und persönlich. Der Roman ist für Leser*innen, die sich für Geschichte interessieren und denen Bücher im Stil eines Diariums gefallen. Also, wenn ihr wissen wollt, warum Ndiaye mit seinen Zeichnungen sogar den Doktor verblüfft und was es mit den Löwen-Hexer auf sich hat, holt euch diesen Roman.

Ein Fehlkauf wird dies ganz sicher nicht.

Nein zum Krieg – denn wir wissen, was wir tun

Eindringlich schildert Alpha Ndiaye wie er mit seinem Kameraden und „Seelenbruder“ – so der französische Buchtitel frei ins Deutsche übersetzt – die Schlachten in den Gräben des Ersten Weltkriegs erlebt. Die Grausamkeiten, Perfiditäten, Abscheulichkeiten, der Widersinn des Krieges – als solcher – werden in dem kurzen Roman Nachts ist unser Blut schwarz (so der deutsche Titel) des franko-senegalesischen Autors David Diop offenbar.

Mit wirkmächtiger Sprache im Erzählton lässt Diop uns teilhaben am Schicksal der beiden „Senegalschützen“, die für Frankreich, das „Mutterland“ in den Krieg ziehen. Etwa Hundertachzigtausend der sogenannten Senegalschützen (Tirailleurs sénégalais) dienten der Kolonialmacht Frankreich im Ersten Weltkrieg; etwa jeder Sechste von ihnen ließ sein Leben. Alpha Ndiaye verliert seinen Kameraden und man könnte meinen es ist Rache, die ihn antreibt Vergeltung zu üben. Trotz der Gräuel die Alpha Ndiaye verübt, die er detailliert beschreibt, haarklein, bin ich mit ihm, ich meine ihn verstehen zu können, ich fühle mit. Hauptmann Armand pfeift zum Angriff und seit Mademba Diop, Alphas Freund und Seelenbruder, umgekommen ist, kehrt Alpha Ndiaye nicht ohne Trophäen zum Lager zurück. Was erst als Heldentum, Wagemut und Kühnheit gefeiert wird, gerät dem Erzähler bald zum Verhängnis, wird ihm als unmenschlich, toll und übertrieben ausgelegt.

Auflockernd, doch nichts an Eindrücklichkeit verlierend, sind die Passagen in denen Ndiayes Gedanken abschweifen in die Zeit vor seiner Rekrutierung, bevor er in den Krieg gezogen ist. Die*der Leser*in erfährt mehr über Ndiayes Herkunft, seine Eltern und wie die Freundschaft zwischen den beiden Kameraden entstand. Assoziativ reiht Diop die Gedanken seines Helden aneinander. Geschickt verwebt er die Erlebnisse aus der Kindheit und beim Fronturlaub. Die Liebe zu Fary Thiam, der Tochter des Dorfältesten in Gandiol, stand von Anfang an unter keinem guten Stern und doch findet sie Erfüllung, wenn auch nur.

David Diop gelingt es auf 175 Seiten ein Portrait zu zeichnen, das nachwirkt. Seine Sprache ist eingängig und verschafft Klarheit über die Unmoral von Krieg und Verbrechen im Zusammenspiel mit Macht. Großartig finde ich die Szene, in der Ndiayes Vater dem Dorfältesten vorführt, dass es Werte gibt, dass Geld nicht alles ist und uns nicht durch Krisen führt. In einer Hungersnot wird man sich nicht nur von Erdnüssen ernähren können. Weitergesponnen, kann dies als Parabel für Lebensmittel-Souveränität gelten und gewinnt nicht nur dadurch einen Bezug zur Gegenwart.

Das Buch hat nichts Belehrendes und lehrt uns doch: Krieg ist nicht zu rechtfertigen und hinterlässt Spuren, die unauslöschlich sind.

Den Verriss von Wolfgang Schneider vom 2.2.2020 in der FAZ kann ich nicht nachvollziehen (oder: Der Verriss … ist nicht nachvollziehbar). Sich im Krieg menschlich verhalten, ist ein Ding der Unmöglichkeit und natürlich hat ein solches Buch immer eine konstruierte Komponente. Dennoch, gerade durch die Perspektive des Erzählers teilte ich den Eindruck zu keiner Zeit, dass das Geschehene an den Haaren herbeigezogen sei. Auch habe ich die angebliche Überzeichnung Ndiayes als „Schokosoldat“ an keiner Stelle so empfunden. Im Gegenteil: durch sein Reflektieren und den gesamten Kontext erscheint Diop als Mensch und seinem Verhalten haftet nichts Übertriebenes an. Unmenschlich und paradox muten die Reaktionen des Hauptmanns und des Arztes in der Genesungseinrichtung an.

Ganz erschließt sich mir die letzte Szene nicht. Dort scheint es als wenn sich der Geist Madembas zeigt und damit ein Perspektivwechsel vollzogen wird. Zurecht hat David Diop in Frankreich für seinen Roman mehrere Preise gewonnen.

Bericht aus dem Innersten des Krieges

Der im französischen Original 2018 unter dem Titel Frère d d’âme erschienene Kurzroman des senegalesisch-französischen Autors David Diop erzählt die Geschichte eines jungen Mannes aus dem Senegal, der im 1. Weltkrieg für Frankreich kämpft. In Frankreich wurde das Romandebüt des Autors zu einem Bestseller, 2019 erschien der Roman in der deutschen Übersetzung unter dem leicht plakativen Titel Nachts ist unser Blut schwarz – passend dazu in einem düster gehaltenen Hardcover, auf dem eine karge Baumlandschaft mit roten (Blut?) – Flecken besprenkelt wird.

Im Nachwort beschreibt Diop die historischen Hintergründe des Romans. 180 000 „Senegalschützen“ – eine Bezeichnung, die sich auf alle Soldaten aus dem Kolonialreich Frankreichs in West- und Zentralafrika bezog – kämpften im ersten Weltkrieg für die Franzosen. Jeder sechste von ihnen verlor sein Leben im Krieg, die meisten in den Grabenkriegen gegen die Deutschen; hier ist auch der Roman angesiedelt. Die rassistisch als „Schokosoldaten“ bezeichneten Männer wurden mit Macheten ausgestattet, um ihren Ruf als „Wilde“ zu unterstreichen und als erste auf den Schlachtfeldern verheizt.

Der Kurzroman geht unter die Haut. Das Buch ist komplett als Monolog aus der Sicht des senegalesischen jungen Mannes Alfa Ndiaye verfasst. Es fühlt sich an, als sei man seiner Innenansicht, seinen Gedanken und Gefühlen in aller Wucht und Grausamkeit ausgeliefert. Der beschriebene Handlungsstrang selbst umfasst nur wenige Wochen und wird in seiner stringenten Erzählweise nur unterbrochen durch Rückblenden in die Kindheit und Jugend des 20-jährigen. Die Rückblenden sind die einzig schön zu lesenden Stellen in dem sonst blutigen Roman. Der Krieg wirkt wie ein Donnerschlag, der über die Harmonie des Bauernjungen hereinbricht, die zuvor erst einmal durch das Verschwinden und die mutmaßliche Entführung seiner Mutter getrübt wurde.

Die Handlung selbst ist schnell erzählt: Mademba Diop, Alfas‘ Kindheitsfreund und „Seelenbruder“, wurde aus dem Hinterhalt durch einen sich schlafend stellenden deutschen Soldaten schwer verletzt und kehrte mit heraushängenden Gedärmen mehr tot als lebendig zurück. Mademba fleht seinen Freund dreimal an, ihn zu erlösen, ihn zu töten. Alfa schafft es nicht, der Bitte seines Freundes zu entsprechen. Der Freund verblutet elendig. Alfa bereut seine Verweigerung und bittet den toten Freund um Verzeihung, doch für sein eigenes Seelenheil ist es zu spät.

In diesem Schlüsselmoment des Buches bricht etwas in Alfa: er möchte seinen Freund rächen, indem er blauäugige Soldaten tötet. Er tötet wie im Rausch im Nahkampf aus dem Hinterhalt, immer nachts, und bringt die abgehackten Hände, an denen noch die Gewehre der Feinde hängen, als Kriegsbeute mit. Dafür erfährt er erst Bewunderung in der Truppe, bald jedoch wenden sich die anderen von ihm ab, sie fürchten ihn und bezeichnen ihn als Hexersoldat. Nach der siebten mitgebrachten „Trophäe“ wird selbst dem blutrünstigen Hauptmann sein Schützling zu unberechenbar, sodass er ihm einen Urlaub von der Front verordnet. In einer psychiatrischen Heilanstalt beginnt Alfa in das Erlebte zu verarbeiten.

Gefühlt ist in jeder Zeile des Buches die Grausamkeit des Krieges zu spüren. Die Verwandlung eines abenteuerlustigen jungen Mannes, der noch kurz vor dem Aufbruch in den Krieg seine erste beglückende sexuelle Erfahrung gemacht hat, zum Mörder auf dem Schlachtfeld, wird eindrücklich beschrieben. Er entscheidet über Leben und Tod, über Recht und Unrecht– so weit ist er abgekommen von der richtigen Einschätzung einer Situation und vom Gefühl für sein Gegenüber. Zum Schluss verliert er sich vollkommen und depersonalisiert aus seinem eigenen Körper. Ebenfalls zweideutig bleibt dabei die Darstellung des Innenlebens des Alfa Ndiaye: war er schon vorher psychisch auffällig und lebt seinen Wahnsinn nun im Krieg aus? Immerhin wurde schon im Senegal über ihn erzählt, er sei ein Seelenfresser und würde Mademba´s Kräfte rauben. Oder lesen wir hier die Verwandlung eines Mannes durch den Krieg, eine frühe Schilderung einer posttraumatischen Belastungsstörung?

Der Fokus des Buches ist das Psychogramm Alfa Ndiayes, nicht der historisch-politische Hintergrund. Der Rassismus gegenüber den Senegalsoldaten wird aufgegriffen, aber in der konsequenten Innenperspektive des Erzählers in keinen Rahmen gesetzt oder problematisiert. Durch die prototypische Überzeichnung des Alfa Ndiayewird die Ideologie des „Wilden“ klischeehaft aufgegriffen. David Diop wollte sie wohl durch diesen Kunstgriff ad absurdum führen, es kann aber auch gefährlich sein, ebendiese Bilder zu bedienen.

Das Buch ist keine angenehme Unterhaltungsliteratur und nichts für empfindliche Gemüter, man braucht starke Nerven, um die detailliert geschilderten Tötungsszenen zu ertragen. Rhythmisch und fast mantraartig werden einzelne Sätze wiederholt: „Ich weiß es, ich habe es verstanden“, „Ich habe verstanden, ich hätte es nicht tun sollen.“ „bei der Wahrheit Gottes“… Diese Sprache verfolgt das Ziel, die Leserschaft in den Bann zu ziehen, wirkt aber beizeiten auch hölzern und phrasenhaft. In der starken Bildersprache mit einigen mystischen Elementen verwendet Diop auch viele sexuelle Konnotationen: der Schützengraben wird beschrieben als übergroßes weibliches Geschlecht, das ihn aufnimmt, der Hauptmann „geht mit dem Krieg ins Bett“. In Verbindung mit den sich immer wiederholenden Sätzen und der Kürze des Buches führt auch die Eingängigkeit der Sprache dazu, dass man das Buch in einem Rutsch durchlesen kann – und verstört zurückbleibt. Leser*innen mit historischem Interesse oder Interesse an (Anti)-Kriegsromanen sei dieser Roman empfohlen.