Bewegende Zeilen

„ (…) i rarely cry but every time i write
i shed streams. this is not just poetry.
this is a prayer. (…)“

(S.51, this is not just, Refuge)

Diese Worte beschreiben die Kollektion von Poesie in JJ Bolas Sammelband Refuge sehr treffend. Auch wenn zunächst der Witz und teils umgangssprachliche Zeilen, in den anfangs inhaltlich noch leichten Texten von der Ernsthaftigkeit der Themen Bolas ablenken, wird die Tiefe und der oft sehr politische Ansatz, von Text zu Text, immer deutlicher. Den Auftakt macht er mit the key (S.9in Refuge), hier wird von dem erst verletzten und jetzt verschlossenen Herzen einer Frau gesprochen, teils auch aus ihrer Perspektive, ihr Schmerz beschrieben. Formuliert mit Verständnis, für das sich emotionale Verschließen nach erlebter Verletzung, jedoch bleibende Hoffnung vermittelnd, dass Liebe irgendwann auch wieder zugelassen werden kann.

Die über dreißig Gedichte wirken sehr bewusst angeordnet. Zwischen ihnen wird ein fließender Übergang deutlich, auf von Leichtigkeit geprägte Werke folgen nach und nach von immer mehr Schwere geprägte Gedichte. Von lang bis sehr kurz, ist fast alles dabei, welches jedoch nicht die Aussagekraft der Texte schwächt. Cops and Robbers (S.77 in Refuge) ein Gedicht aus lediglich drei Zeilen bestehend, ist, wenn der lesenden Person der Kontext bekannt ist, ein sehr ergreifendes Werk. Beinahe einer der intensivsten Texte der Sammlung. Bei Cops and Robbers handelt es sich um ein US-amerikanisches Kinderspiel, welches Ähnlichkeiten mit dem deutschen Spiel „Räuber und Gendarm“ hat. Bola lässt es in seinen drei Zeilen präzise Polizeigewalt gegen Schwarze Menschen anprangern, welche häufig tödlich endet und selbst vor Kindern keinen Halt macht. Dieser Inhalt ist unter anderem ein Beispiel dafür, dass der Autor neben Texten über Liebe und Verlust auch politisch aktivistisch schreibt. Darüber hinaus lässt er häufig gekonnt persönliche Erlebnisse einfließen, wodurch das Publikum auch ohne eigenen Bezug, eine ganz besondere Beziehung zu den Texten aufbauen kann.

Dies ist einer von vielen Inhalten, der den Hintergrund von Schriftsteller, Aktivist und Poet JJ Bola deutlich werden lässt. Als Schwarzer und aktivistischer Mann mit eigener Fluchtgeschichte, thematisiert er Rassismus, Flucht und Männlichkeit auf einer, trotz der Tiefe der Inhalte, sehr verständlichen Ebene. Dies macht den Titel Refuge (Zuflucht) umso passender für den Sammelband. Er besteht unter anderem aus Gedichten, in denen er direkte Bezüge zu seiner eigenen Geschichte herstellt. Diese sehr persönliche Ebene, ermöglicht es auch Leser*innen, welche erst wenige oder gar keine Berührungspunkte mit dieser Thematik hatten, Anschluss zu finden. Dies macht den Band umso empfehlenswerter für alle, die sich nicht vor direkten Worten und offen dargelegten Gefühlen scheuen.

Je weiter man im Gedichtband mit dem Lesen fortschreitet, desto mehr lässt sich nachvollziehen, weshalb Bola seine eigene Poesie, im zu Beginn aufgeführten Zitat, als Gebet beschreibt. In vielen Gedichten gibt er jenen, an die sie gerichtet sind, stärkende, Hoffnung bringende oder tröstende Worte mit. Gibt seinen Werken, somit eine ähnliche Wirkung, wie sie ein Gebet haben kann. Refuge-ein Band der Leser*innen eine Zuflucht bietet.

Anger, Love and Hope

Refuge ist ein Sammelband von JJ Bola’s besten Gedichten aus seinen vorherigen Gedichtbändern: Elevate (2012), Daughter of the Sun (2014) und Word (2015). Word war sein erfolgreichstes und reichhaltigstes Buch, das direkt ausverkauft war. Das Buch erschien zur Refugee Week 2015 und war direkt vergriffen. Aus dem Band Refuge wurde nach seinem erstmaligen Erfolg, während der Flüchtlingswoche 2018 (Refugee Week London) im britischen Unterhaus vorgelesen. Der Roman No Place To Call Home (2017) ist eine Geschichte von Zugehörigkeit, Identität und Einwanderung. Geprägt von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, von Verlust – nicht durch den Tod, sondern durch Distanz – und keineswegs durch Liebe.

JJ Bola kommt ursprünglich aus der Demokratischen Republik Kongo. Im Alter von sechs Jahren flüchtete er mit seinen Eltern nach London. Bis heute wohnt er dort und schwärmt im aktuellen Band von London, trotz der Schwierigkeiten mit denen er dort zurecht kommen muss: „-..the city lights sparkle, like a beautiful woman’s eyes, London always leaves me breathless.(‚london‘). JJ Bola ist heutzutage ein anerkannter und beliebter Autor und Dichter. Ebenso ist er aktiv für die Menschenrechte unterwegs und als Workshop-Leiter und Pädagoge tätig. Er tritt weltweit in vielen verschiedenen Shows und Festivals sowie auch in Universitäten auf (Tongue Fu, Vocals & Verses, University of Birmingham etc.). Ebenso kann man ihn in ausgewählten Radiosendungen hören und sieht ihn ab und zu im TV. JJ Bola’s Arbeit fokussiert sich auf poetische Erzählungen von Ermächtigung, Humanisierung, Heilung von Traumata sowie der Entdeckung des Ich’s durch Kunst, Literatur und Poesie. Er kreiert den immer beliebter werdenden Satz hype your writers like you do you rappers, und glaubt, dass der wahre Zweck der Poesie (Kunst) darin besteht, die Realität dieser Welt aufzudecken und dabei zu helfen, in dieser Welt zu überleben. Bola hatte es besonders am Anfang schwer in England als schwarzer Flüchtling anerkannt zu werden. In I found hip hop findet sich der Schmerz des Autoren wieder:…and excuse me that i still feel the pain if someone calls me and says that’s my n… because on the ships they used to call me n…. Er taucht mit diesem Zitat zurück in die dunkle Vergangenheit der Sklaverei und der Kolonisation. Diese Zeit ist vorüber, wir sind im 21. Jahrhundert, er fordert die Lesenden auf, ändert euch, ändert eure Sicht: think quicker. history is bigger than slavery and colonisation.. Er betont häufig das Problem des Rassismus in seinem Land. Die Rede ist vom systematischen Rassismus. In politics 101 wendet er sich direkt an die Politik,…our state of mind is poor…,…living like savages in an environment so primitive a knowledge…, …wage war. strategy four. reward those who conform to their system…, …the cataclysm’s got our tongue so, we stay silent…, …don’t trust what you read in the news or what you see on TV. Diese Zitate habe ich herausgepickt, da sie alle etwas darüber aussagen, warum das Problem von Rassismus und Ungerechtigkeit immer noch herrscht. JJ Bola stellt sich sehr kritisch gegen das politische System und will seinen Lesern mit diesem Gedicht die Augen öffnen. Versprochene Veränderungen werden nicht umgesetzt, die Probleme bleiben die gleichen,…to you, ‚change‘ is just a political sound bite to win you votes. to them, it was a symbol of hope, …lawlessness creates lawlessness, …if you cut we all bleed.. In if you cut (we all bleed)London, 2011, ärgert er sich über den Egoismus des Staates und dessen Gesetzlosigkeit und richtet sich mit seinen Aussagen direkt an das politische System.

Was mich positiv überrascht hat, war JJ Bola’s Hang zum Feminismus, der mir in einzelnen Gedichten auffiel. Er nimmt die Frauen in Schutz und entschuldigt sich für respektlose Taten. …I’m sorry for the deogatory epiphets and the slanderous names because we are not brave enough to rise up with you., (‚an apology‘). Er unterstreicht in seinen Gedichten die Fehler des Mannes. Dieser verhält sich nicht anständig und wurde/wird falsch erzogen. In real menbittet er die Männer sich zu verändern, Gefühle zuzulassen und ihre Söhne richtig zu erziehen. Die Definition des „echten“ Mannes basiert auf Lügen und Fehlverhalten: so be you. do not be confined by society’s ideals because real men don’t exist, only men who are real.

Gefühle. Ein starkes Wort. Ein Wort das vielseitig ist. Besonders das Gefühl der Liebe ist mächtig. Das zeigt uns Bola mit seinen ‚Liebesgedichten‘. Für ihn ist die Liebe essentiell für ein erfülltes Leben, „let love set us free“ (‚the key‘). Seine starke Verliebtheit spürt man im Gedicht i just wanna love her. Super kitschig, super romantisch, einfach toll zu lesen (als Mädchen). Er erzählt uns von seinem Schwarm. Mit jedem Vers wächst seine Schwärmerei noch mehr,…i just wanna love her like each day is the last and if i come to find, that tomorrow brings the end of my time i hope i’ll die her best friend. another thing i hope for is that i would have met her by then. Er verwendet traumhafte Wörter und schreibt so ein langes Gedicht für ein Mädchen, das er nicht einmal kennt. Melancholisch und charmant.

Obwohl JJ Bola kein einfaches Leben hatte und bis heute mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat, ist er ein Optimist. Er fordert die Menschen auf richtig zu leben und nicht in Kummer zu versinken. Sie sollen trotz harter und steiler Wege niemals aufgeben und das Beste aus ihrem Leben machen (‚live‘ und ‚to those with wings for feet who keep running please do not run, fly‘). Beides tolle Gedichte, wenn man gerade in Selbstmitleid versinkt und eine Stärkung braucht.

JJ Bola ist ein einzigartiger Dichter. Alle Dichtungen sind kraftvoll, emotional und klar geschrieben. Sie haben mich tief berührt und zum Lächeln gebracht. Dieser Band ist sehr ausdrucksstark und widmet sich den aktuellen Problemen auf unserer Welt. Wie zuvor erwähnt, Rassismus und Ungerechtigkeit. Es ist schlimm anzuschauen was gerade passiert. Ich bin schockiert und sehr traurig. In this is not just betet Bola für alle Menschen, denen es gerade schlecht geht,…this is a prayer. This is eyes closed bended knees hands together in the air. This is for every struggle in humanity. From the Middle East to east Congo we are not alone. Er deutet klar daraufhin, dass wir Menschen zu einander stehen sollen und unsere gegenseitige Hilfe brauchen. Wir sind alle gleich. Nur zusammen als Team können wir etwas bewegen. Absolut wahr und absolut machbar. Seine Nachrichten an die Gesellschaft übermittelt er anhand seiner Gedichte, das spürt und fühlt man. Er will Probleme beseitigen, die Welt gerechter machen und das wahre schöne Leben leben. Ein toller Mann, ein toller Dichter.

Ich habe das Gedicht refugegewählt, da es zur momentanen schlimmen Situation in Amerika passt. Andersfarbige Menschen die nicht in ihrem Land wohnen, haben es oft sehr schwierig anerkannt und respektiert zu werden. Besonders dramatisch schaut es für die schwarze Bevölkerung aus. JJ Bola schreibt darüber, wie sehr sie versuchen sich an das Land anzupassen und täglich kämpfen endlich akzeptiert zu werden, they called us refugees so, we hid ourselves in their language until we sounded just like them.. Mit dieser Epiphrase macht Bola deutlich, wie stark man seine Kultur ablegen muss um dazuzugehören. Das reicht dennoch nicht. Die dunkelhäutigen Menschen werden bis heute nicht in Ruhe gelassen und bangen um ihre Existenz. Zwei Verse, mit der Verwendung der Repetitio (Wiederholung) unterstreichen die Angst der ‚Schwarzen‘ deutlicher: …and tell stories of monsters that lurked and came only at night to catch the children who sat and listened to stories of monsters that lurked., sowie „..be glad that the monsters never came for you. in their suits and ties. never came for you. in the newspaper with the media lies. never came for you. that you are not despised.. Mit monsters(Antonomasie) meint er vermutlich die Polizei, die immer „auf der Jagd“ nach ihnen ist. Sie fühlen sich nicht sicher und geborgen in ihrer Heimat. Sie fühlen sich ausgestoßen und sind in täglicher Gefahr. Es fühlt sich an wie der erste Tag seiner Ankunft in London: …everything was foreign. unfamiliar. uninviting. (Klimax)even the air in my lungs left me short of breath (Hyperbel). In Schwierigkeiten mit der Polizei zu geraten ist einer der größten Ängste der ‚Dunkelhäutigen‘. Denn das geht leider schnell.

Dieses Gedicht ist kraftvoll und hat mich verärgert. Es erschüttert mich immer wieder zu lesen, wie die Ausländer (insbesondere afrikanische Menschen) behandelt werden. Es kann nicht sein, dass wir heutzutage immer noch Rassismus so tief in unserer Gesellschaft verankert haben. Das muss sich ändern. Sofort. Man muss dieses Problem zusammen anpacken und ein für alle Mal beseitigen.

Am Samstag war ich auf der Anti-Rassismus Demo in Berlin und habe das Gefühl der Stärke von Zusammengehörigkeit gespürt. Das Wichtigste an dieser ganzen Sache ist, dass wir Menschen endlich zusammenhalten müssen. Nur zusammen als Team kann man funktionieren und etwas verändern. Nur zusammen kann man es schaffen. Egal welche Hautfarbe. Wir sind alle Menschen und verdienen es zu leben. Es muss Gerechtigkeit her und zwar jetzt.

Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Black Lives Matter.

Respekt!

Ein kleiner Junge. Irgendwo in Kinshasa. Barfuß. In einem weißen Hemd und blauen Denimshorts. Hält einen Mikro. Er schaut dich an. Sein Blick ist selbstbewusst. Ein wenig traurig. Mit einem Vorwurf in den Augen:

„[…] we lose our humanity. every time we stare at television. every time we eat in McDonalds. sat by the window seat of a Starbucks with a cappucino reading the latest pop book. every time we download an app on our iPhone. iPad. I am alone.“
– This Is Not Just (S. 51)

Etwa so trifft uns JJ Bola mit seiner Gedichtsammlung Refuge und heißt uns willkommen in seiner Welt. In einer Welt voller Liebe, Schmerz, Empörung und Imperativ. Der Sammelband besteht aus ausgewählten Gedichten, die bereits früher publiziert wurden, sowie neuen Material.

Der Sammelband ist sehr konsequent aufgebaut, was die Entwicklung des Autors betrifft. Ob dieser Aufbau bewusst gewählt wurde oder eine Chronologie als Basis diente, ist unbekannt. Tatsache ist, dass der Entwicklungsweg von JJ Bola als Dichter nicht nur lang, sondern auch steinig und schwer war.

In der ersten Hälfte des Bandes wird so wild mit Klischees gestempelt, dass man sich fast in der Quizsendung „Erkennen Sie die Melodie?“ wiederfindet, wo die Hauptunterhaltung daraus besteht sich an das Lied oder an zahlreiche Lieder zu erinnern, wo der vorgespielte Ausdruck bereits vorkam. Die erste Zeile des ersten Gedichtes „she wears a cage around her heart“ lässt nichts Gutes ahnen und bestätigt es auch der Schluss „but you‘re the one who holds the key“.

Die nächste Entwicklungsstufe innerhalb des Bandes ist der Hip-Hop. Die Ausbreitung des Einflusses findet in „I Found Hip Hop“ seinе Apotheose. Der Dichter ist noch auf der Suche nach der Tiefe für seine Texte und bedient sich erstmal mit den oberflächlichen Referenzen zur Antike, zu großen Königreichen in Afrika und Michael Jackson.

„[…] hip is the knowledge. Like the construction of the pyramids.“
– I Found Hip Hop (S. 45)

Parallel dazu kommt bei JJ Bola der Prediger-Imperativ immer wieder zum Ausdruck. Er spricht von einem schrecklichen Wir in Politics 101 und endet darin mit einem ausgelutschten Mantra der Verschwörungstheoretiker „[.. ] dont‘t trust what you read in the news or what you see on TV“

Das Gute an dem Sammelband ist der positive Entwicklungsweg, der da ist. Irgendwann zum Ende des Bandes fängt man an neue Versionen der früheren Inhalte wiederzuerkennen bzw. man erkennt diese auf den ersten Blick gar nicht wieder, weil sie jetzt sprachlich viel besser geworden sind. Ein gutes Beispiel dafür ist real man (S. 29)vs. man, listen (S.67):Hip-Hop-Möchtegern vs. Dichter. So kommt die Freude beim Lesen der letzten Gedichte um so mehr „like the sunshine after the rain“ oder so ähnlich.

Wer sollte sich diesen kompakten Sammelband von weniger als ein hundert kleinen Seiten zu Herzen nehmen? Die ersten fünfzig Seiten sind für Teenager und junge Erwachsene mit einem Instagram-Account zu empfehlen. So findet man viele schöne Zitate zum Reposten. Die zweite Hälfte des Sammelbandes ist uneingeschränkt empfehlenswert, man findet in den Texten eine starke Schulter in schweren Zeiten sowie eine gute Motivation zu fliegen anstatt zu rennen und zu leben anstatt zu sterben. Eine andere Zielgruppe für den gesamten Sammelband sind die (Hip-Hop)Dichter, die sich ein Beispiel an dem Entwicklungsweg von JJ Bola nehmen könnten und einen Respekt an ihn twittern.

Feel the inner spirit and follow your heart – oder wie auch im scheinbar Einfachen Tiefe verborgen liegt

Ich gebe zu: zeitgenössische Dichtung lese ich kaum – außer vielleicht die von Bjarne Mädel (und die auch nur, weil ich sie geschenkt bekommen habe). Die von Bjarne Mädel hat mich nicht umgehauen, aber er schreibt auch selbstironisch im Klappentext: „Es ist wirklich wie ein Fluch, jeder Promi schreibt ein Buch. […] Am besten noch in Reimen, da lachen ja die Kälber. Oh Gott… ich mach’s ja selber.“

Und so gestehe ich weiter: unter zeitgenössischen „afrikanischen“ Gedichten habe ich mir etwas sehr modernes vorgestellt, Texte, die kaum zu verstehen sind, Aneinanderreihungen von Wörtern, die ohne Vorwissen kaum zu erschließen sind – so wie einige zeitgenössische Plastiken auch nicht unbedingt leicht zugänglich sind. Ich war mal auf einem Science Slam, aber der hat nichts mit Poetry zu tun und ich habe bei „Poetry“ nicht an Slam gedacht. So war ich bei den folgenden Zeilen doch ziemlich enttäuscht: „I just wanna love her like the moon loves the sea, […] like the sun to the trees, and just like the trees to the sun i should reach up to wherever she was so we could touch and be one.“ Sie erinnerten mich an die 8. Klasse, in der Liebesgedichte das Thema waren und jede*r Schüler*in selbst auch Gedichte verfassen musste.

Diese Zeilen entstammen dem Gedicht „I wanna love her“ von JJ Bola aus der Zusammenstellung seiner Gedichte in Refuge – the collected poetry of JJ Bola. Es ist eines der ersten von 35 Gedichten, die 2018 bei OWN IT! Entertainment Ltd erschienen sind. Je mehr ich gelesen habe, desto mehr habe ich verstanden und desto weniger plump erschienen mir Bolas Verse. Mit jedem weiteren Gedicht, alle zwischen ein bis drei Seiten lang, wird das Bild kompletter, wird die Botschaft klarer und: ich beginne den Flow zu spüren. Ich verstehe: es sind keine klassischen Gedichte, es sind meist Raps, welche erfolgreich versuchen abzubilden, was kaum abbildbar ist: die Botschaft des Lebens, den Lebenssinn, Gesellschaftskritik, Machtstrukturen, dein Gegenüber Mitmensch, Schwester und Bruder werden lassen, Liebe leben über den Tod hinaus, Schmerz und Leid überwinden und transformieren. Für diese Themen Worte finden, ist eine Kunst und ich gebe zu: JJ Bola beherrscht sie! In einem Dreizeiler bringt er auf den Punkt, was manche Vorträge über Ungleichbehandlung und Diskriminierung nicht vermögen klar zu machen, die aber nach dem Tod von George Floyd medial in ein ganz anderes Licht gerückt werden: „Cops and robbers – „our kids cannot play this game, when lying dead on the floor is practice“.

Bola arbeitet mit Oxymora und bringt zur Sprache, was uns alle beschäftigt, die universellen Lebensthemen kommen zum Beispiel in „live“ zum Ausdruck, was wir alle wissen, wird durch die Gedichtform unaufdringlich aber direkt formuliert: „people should take days off work more often and spend them watching the clouds and looking up at the sky, wondering how and why we came to be.“

Mir gefällt es, wie Bola die Übergänge zwischen dem Erfassbaren zur unsichtbaren Welt gestaltet, wie er von seiner Großmutter berichtet, die in Lingala zu ihm spricht, was er nicht versteht. Die Oma, die Bola nicht mehr bewusst kennengelernt hat, begleitet ihn, er weiß: Ohne Vergangenheit, keine Zukunft und wie das Unerklärliche uns alle umgibt, uns gedeihen lässt – „something beautiful“.

Einige Gedichte scheinen gezielt an eine bestimmte Leser*innenschaft gerichtet zu sein, wie „real men“. Bola will aufrütteln, das Klischee vom starken Mann nicht nur hinterfragen, sondern verändern, er appelliert an die „weiche Seite“ in jedem Menschen, daran Gefühle zuzulassen, sie auszuleben, aber nicht auf Kosten anderer. Aus meiner Sicht haben diese Appellgedichte einen seltsamen Beigeschmack, sie erscheinen etwas belehrend, als wollten sie rührig machen. Darum geht es ihm wohl auch, ich halte es nicht immer für gelungen, weil sie Klischees bedienen und doch bin ich berührt. Bola hat mich erreicht.

Insgesamt ist Bolas Gedichtband auf jeden Fall lesenswert und sollte viel bekannter gemacht werden.

Perzeption von Migration und Rassismus in Gedichtform

Der Gedichtband Refuge von J.J. Bola aus dem Jahr 2018 ist eine Kollektion, die die besten Gedichte aus seinen vorherigen Gedichtsammlungen Elevate (2012), Daughter of the Sun (2014) und Word (2018) sowie einige neue Gedichte umfasst.

J.J. Bola ist ein in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, geborener Autor, Dichter und Menschenrechtsaktivist – man könne „nicht unpolitisch sein“, so wird er häufig zitiert. Im Alter von 6 Jahren migrierte er dank der diplomatischen Verbindungen seines Großvaters mit seinen Eltern nach London, wo er heute noch lebt. Vor seiner Karriere als Autor und Dichter war er Basketballspieler und arbeitete als Sozialarbeiter mit benachteiligten Jugendlichen. Heute setzt er sich neben seiner Kunst für Geflüchtete ein und arbeitet mit Amnesty International sowie als UNHCR-Botschafter an unterschiedlichen Projekten, besonders zu Menschenrechten in der Demokratischen Republik Kongo.

J. J. Bola möchte ein Künstler sein, der explizit für junge Menschen schreibt. Dabei bringt er das Medium der Dichtung Menschen nahe, die sonst vielleicht wenig damit in Berührung gekommen sind. Dafür nutzt er bewusst alle Kanäle der neuen Medien: er führt einen Blog, rezitiert Gedichte als TED-Talks, befasst sich in Webserien – angelehnt an sein Sachbuch über toxische Männlichkeit und Patriarchat (Mask off: masculinity redefined) – mit dem Thema Maskulinität, und trägt seine Werke auf poetry slam-Veranstaltungen und Musikfestivals vor. Trotz der Nähe zur Rapmusik ist seine Kunstform die Literatur und dabei vor allem die Dichtung.

Die in seiner Kunst bearbeiteten Themen sind dabei allesamt aktuell und wichtig. Die Themen Ungleichheit, Ungerechtigkeit sowie Rassismus werden in vielen seiner Gedichte aufgegriffen. Im berühmte Titelgedicht „refuge“ setzt sich J. J. Bola (wie auch in „tell them“ und „more war“) mit den Kriegserfahrungen von Geflüchteten in ihrem Heimatland sowie dem erlebten Rassismus in Europa auseinander. Auch in „a different violence“ werden die schmerzlichen Erfahrungen mit Ausgrenzung sowie der Assimilationsdruck, dem die Menschen der black community (nicht nur) in Großbritanien ausgesetzt sind, thematisiert. Zudem wird das brandaktuelle Thema der Polizeigewalt, wie auch in dem kürzesten Gedicht des Bandes „cops and robbers“, aufgegriffen:

„our kids cannot play this game,

when lying down on

the floor is practice” – heißt es da.

Weitere Gegenstände der Auseinandersetzung bei J. J. Bola sind toxische Männlichkeit sowie Sexismus. In „an apology“ verbeugt sich das lyrische Ich vor den Frauen, die es als göttlich verehrt und entschuldigt sich stellvertretend für seine Geschlechtsgenossen. Die biographische Entstehung der Abwertung von Frauen hat „real men“ zum Inhalt: schon kleine Jungen würden mit einem toxischen Männlichkeitsideal konfrontiert, indem „real men“ stark, emotionslos und promisk sein sollten; „listen bro, the fact is we were lied to“ wird mehrfach wiederholt. Ebenfalls fast missionarisch wird auch in „man, listen“ an alle Männer und deren zukünftige Söhne appelliert, sexistische Stereotype und Misogynie – die auch in der Hip-Hop-Kultur transportiert werden – zu durchbrechen. J.J. Bolas ambivalente Beziehung zum Hip-Hop, der Subkultur, mit der er in Camden- London aufgewachsen ist, wird auch im sehr explizit betitelten Gedicht – „i found hip hop“ aufgegriffen. In der dichten und starken Verwendung von Sprache einem Rap sehr ähnlich, wird hier auch die Herkunft des Dichters, seine Identität als Afrikaner sowie die Kommerzialisierung des Hip-Hops bearbeitet.

Weitere Themen bei J.J. Bola sind Politik und Medienkritik wie in „politics 101“, das Stadtleben in „london“, eine Auseinandersetzung mit Glauben wie in „faith“ sowie Alltagsphilosophisches. Einige Gedichte (etwa „live“) sind dabei mit einer Menge an Tipps und Ideen einem Lebensratgeber zu ähnlich. Im persönlichsten und fast kitschigen Gedicht „something beautiful“ reflektiert J. J. Bola seine eigene Entwicklung zur Schriftstellerei als Selbstheilung.

Neben all den sozialkritischen Gedichten finden sich in Refuge aber nicht zuletzt auch viele schöne und berührende Liebesgedichte. In „I just wanna love her” und „to her, where she may be” wird eine idealisierte Liebesbeziehung oder der Wunsch nach dieser in einer mythologisch aufgeladenen und metaphorischen Sprache beschrieben. In „moon child” wird der Autor persönlich, eine aus Scheuheit unerfüllt gebliebene Liebe bleibt zumindest in Worten lebendig.

J. J. Bola veröffentlichte mit diesem Sammelband seiner Aussage nach die zunächst letzte Sammlung an Gedichten. Aus fast allen Gedichten spricht die eigene Lebensgeschichte des Autors; die Geschichte eines jungen Mannes, der nach eigener Fluchterfahrung kein professioneller Basketballspieler werden durfte, da er die britische Staatsangehörigkeit nicht trug. Der schließlich durch eigene Erweckungsmomente sowie einen Masterstudiengang in Kreativem Schreiben an der Birkbeck University in London zur Literatur fand und für das Genre ungewöhnlich politische und soziale Gedichte veröffentlichte. Dass der Autor damit nicht nur Kunst machen möchte, sondern eine politische Mission als „Influencer“ verfolgt, kann man kritisch diskutieren. So steht das Werk vielleicht nicht für sich, sondern ist bewusst politisch gehalten – auch um den Wünschen seiner Leser*innen gerecht zu werden. Ohne Frage haben wir es jedoch hier mit einem sehr talentierten jungen Schriftsteller zu tun, der wichtige, mutige und tagesaktuelle Themen in berührenden und schönen Gedichten verarbeitet.