Perzeption von Migration und Rassismus in Gedichtform

Der Gedichtband Refuge von J.J. Bola aus dem Jahr 2018 ist eine Kollektion, die die besten Gedichte aus seinen vorherigen Gedichtsammlungen Elevate (2012), Daughter of the Sun (2014) und Word (2018) sowie einige neue Gedichte umfasst.

J.J. Bola ist ein in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, geborener Autor, Dichter und Menschenrechtsaktivist – man könne „nicht unpolitisch sein“, so wird er häufig zitiert. Im Alter von 6 Jahren migrierte er dank der diplomatischen Verbindungen seines Großvaters mit seinen Eltern nach London, wo er heute noch lebt. Vor seiner Karriere als Autor und Dichter war er Basketballspieler und arbeitete als Sozialarbeiter mit benachteiligten Jugendlichen. Heute setzt er sich neben seiner Kunst für Geflüchtete ein und arbeitet mit Amnesty International sowie als UNHCR-Botschafter an unterschiedlichen Projekten, besonders zu Menschenrechten in der Demokratischen Republik Kongo.

J. J. Bola möchte ein Künstler sein, der explizit für junge Menschen schreibt. Dabei bringt er das Medium der Dichtung Menschen nahe, die sonst vielleicht wenig damit in Berührung gekommen sind. Dafür nutzt er bewusst alle Kanäle der neuen Medien: er führt einen Blog, rezitiert Gedichte als TED-Talks, befasst sich in Webserien – angelehnt an sein Sachbuch über toxische Männlichkeit und Patriarchat (Mask off: masculinity redefined) – mit dem Thema Maskulinität, und trägt seine Werke auf poetry slam-Veranstaltungen und Musikfestivals vor. Trotz der Nähe zur Rapmusik ist seine Kunstform die Literatur und dabei vor allem die Dichtung.

Die in seiner Kunst bearbeiteten Themen sind dabei allesamt aktuell und wichtig. Die Themen Ungleichheit, Ungerechtigkeit sowie Rassismus werden in vielen seiner Gedichte aufgegriffen. Im berühmte Titelgedicht „refuge“ setzt sich J. J. Bola (wie auch in „tell them“ und „more war“) mit den Kriegserfahrungen von Geflüchteten in ihrem Heimatland sowie dem erlebten Rassismus in Europa auseinander. Auch in „a different violence“ werden die schmerzlichen Erfahrungen mit Ausgrenzung sowie der Assimilationsdruck, dem die Menschen der black community (nicht nur) in Großbritanien ausgesetzt sind, thematisiert. Zudem wird das brandaktuelle Thema der Polizeigewalt, wie auch in dem kürzesten Gedicht des Bandes „cops and robbers“, aufgegriffen:

„our kids cannot play this game,

when lying down on

the floor is practice” – heißt es da.

Weitere Gegenstände der Auseinandersetzung bei J. J. Bola sind toxische Männlichkeit sowie Sexismus. In „an apology“ verbeugt sich das lyrische Ich vor den Frauen, die es als göttlich verehrt und entschuldigt sich stellvertretend für seine Geschlechtsgenossen. Die biographische Entstehung der Abwertung von Frauen hat „real men“ zum Inhalt: schon kleine Jungen würden mit einem toxischen Männlichkeitsideal konfrontiert, indem „real men“ stark, emotionslos und promisk sein sollten; „listen bro, the fact is we were lied to“ wird mehrfach wiederholt. Ebenfalls fast missionarisch wird auch in „man, listen“ an alle Männer und deren zukünftige Söhne appelliert, sexistische Stereotype und Misogynie – die auch in der Hip-Hop-Kultur transportiert werden – zu durchbrechen. J.J. Bolas ambivalente Beziehung zum Hip-Hop, der Subkultur, mit der er in Camden- London aufgewachsen ist, wird auch im sehr explizit betitelten Gedicht – „i found hip hop“ aufgegriffen. In der dichten und starken Verwendung von Sprache einem Rap sehr ähnlich, wird hier auch die Herkunft des Dichters, seine Identität als Afrikaner sowie die Kommerzialisierung des Hip-Hops bearbeitet.

Weitere Themen bei J.J. Bola sind Politik und Medienkritik wie in „politics 101“, das Stadtleben in „london“, eine Auseinandersetzung mit Glauben wie in „faith“ sowie Alltagsphilosophisches. Einige Gedichte (etwa „live“) sind dabei mit einer Menge an Tipps und Ideen einem Lebensratgeber zu ähnlich. Im persönlichsten und fast kitschigen Gedicht „something beautiful“ reflektiert J. J. Bola seine eigene Entwicklung zur Schriftstellerei als Selbstheilung.

Neben all den sozialkritischen Gedichten finden sich in Refuge aber nicht zuletzt auch viele schöne und berührende Liebesgedichte. In „I just wanna love her” und „to her, where she may be” wird eine idealisierte Liebesbeziehung oder der Wunsch nach dieser in einer mythologisch aufgeladenen und metaphorischen Sprache beschrieben. In „moon child” wird der Autor persönlich, eine aus Scheuheit unerfüllt gebliebene Liebe bleibt zumindest in Worten lebendig.

J. J. Bola veröffentlichte mit diesem Sammelband seiner Aussage nach die zunächst letzte Sammlung an Gedichten. Aus fast allen Gedichten spricht die eigene Lebensgeschichte des Autors; die Geschichte eines jungen Mannes, der nach eigener Fluchterfahrung kein professioneller Basketballspieler werden durfte, da er die britische Staatsangehörigkeit nicht trug. Der schließlich durch eigene Erweckungsmomente sowie einen Masterstudiengang in Kreativem Schreiben an der Birkbeck University in London zur Literatur fand und für das Genre ungewöhnlich politische und soziale Gedichte veröffentlichte. Dass der Autor damit nicht nur Kunst machen möchte, sondern eine politische Mission als „Influencer“ verfolgt, kann man kritisch diskutieren. So steht das Werk vielleicht nicht für sich, sondern ist bewusst politisch gehalten – auch um den Wünschen seiner Leser*innen gerecht zu werden. Ohne Frage haben wir es jedoch hier mit einem sehr talentierten jungen Schriftsteller zu tun, der wichtige, mutige und tagesaktuelle Themen in berührenden und schönen Gedichten verarbeitet.

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