Unberechenbar, gefährlich, Lagos.

Lagos. Die größte Stadt Nigerias mit über 22 Millionen Einwohnern. Der Band ‚Lagos noir‘ gibt uns einen Einblick in die dunklen Seitengassen dieser Stadt, überschwemmt von Chaos und Kriminalität. Auf den Inseln Ikoyi und Victoria Island sieht man eine positive Veränderung. Dort dennoch, hat sich nun die Elite angesiedelt. Für sie sieht es sonniger aus als für manch andere in Lagos. Die ärmere Bevölkerung hat immer noch mit denselben Problemen zu kämpfen. Ohne Geld wird man von Lagos gefressen. Geld ist Sicherheit. Sicherheit gibt einem die Polizei. Hat man dennoch kein Geld, erhält man auch keinen Schutz.

Dass Polizisten sich bestechen lassen, ist in den Geschichten aus Lagos noir Alltag. Eine Hand wäscht die andere. Bereist die erste Kurzgeschichte erzählt von der verbreiteten Korruption im Polizeisystem Nigerias. What They Did That Night handelt davon, wie der Unteroffizier Gabriel eine Bande auf frischer Tat ertappen will. Doch er ahnt er nicht, was für schwere Steine ihm in den Weg gelegt werden. Erstklassig von dem nigerianischen Schriftsteller Jude Dibia, der in Lagos geboren wurde, geschrieben. Dibia ist einer der populären Autoren in Afrika. Er wurde bekannt durch seine speziellen und in Afrika überragenden Themen. Sein in 2007 veröffentlichter Roman Walking with Shadows erzählt von der Homosexualität unter verheirateten Männern in Afrika.

In Lagos noir schreibt der Herausgeber Chris Abani über Homosexualität in Nigeria als Mordmotiv und gesellschaftlichem Tabu. Dies ist ein schwieriges und noch nicht anerkanntest Thema im Land. Wenn ein Autor über diese Problematik schreibt, zeigt er wahren Mut. In Killer Ape ist die Hauptfigur ein homosexueller Polizeiermittler namens Okoro, dessen Vorbild Sherlock Holmes ist. Er beschließt seinen Fall zu fälschen. In Schwierigkeiten geraten will er nicht. „This was one of those moments when he was grateful there was a line to toe.“, der finale Satz der Erzählung und somit die finale Entscheidung von Okoro. Abani ist ein weltbekannter und geliebter nigerianischer Diaspora Autor, der für sein Werk schon mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. In einer seiner populärsten Fiktionen The Secret History of Las Vegas soll Detektiv Salazar Mordtaten ermitteln und trifft dadurch auf viele dunkle Geheimnisse der Stadt. Als Herausgeber von Lagos noir bringt Abani Autoren zusammen, die großartig schreiben und alle Lagos selbst erfahren haben. Nicht nur prominente Autoren wie A. Igoni Barrett durften zum Band Lagos Noirbeitragen, auch „Neulinge“ haben ihren Platz in diesem Sammelband, der afrikanischen Kriminal- und Stadtliteratur in sich vereint.

A. Igoni Barrett ist ein junger Autor und Kurzgeschichten sind sein Ding. Für Lagos noir schrieb er eine kurze Story über eine große, fette Ratte die einen Mann verfolgt.

Alle Kurzgeschichten des Bandes zeigen uns andere, persönliche Schwierigkeiten, mit denen die Einwohner Lagos’ konfrontiert werden. Die Probleme erstrecken sich von Korruption im Polizeisystem bis hin zum Post-Kolonialismus. Die Geschichten spiegeln die Ängste und Sorgen der Bevölkerung wider und hinterlassen unweigerlich Spuren bei den Lesenden.

Lagos noir veranschaulicht tiefergehende Probleme, zusammengebracht in einzelnen Erzählungen von Autoren mit diversem Hintergrund. Viele der Stories implizieren eigentlich genau das, was man als westliche Person über Afrika denken würde. Chaos, Betrug, Korruption. Und die Bevölkerung von Furcht erdrückt. Einzelne Geschichten lassen einen buchstäblich kurz den Atem anhalten. So in Heavens Gateverfasst von der nigerianisch-belgischen Schriftstellerin Chika Unigwe. Zu Beginn der Geschichte wird die „Gesetzeslage“ in Lagos wie folgt zusammengefasst: “Lagos police and commercial drivers had an unwritten agreement: the latter were fair in the amounts of bribes they gave and the former never assaulted them.”.

Es ist erschreckend wie dort alles geregelt wird. Was wir im Westen als ’normal‘ betrachten, wird in Lagos bewusst abgelehnt. Dort herrschen andere Regeln. Dort geht es um das eigene Überleben. Hier wird nicht unbedingt nach dem Gesetz gelebt. Das Gesetz wird jedes Mal betrogen. Zugunsten des eigenen sicheren Lebens. Schuldige sind ‚unschuldig‘ und man versichert sein Leben indem man Polizisten bezahlt. Geld regelt in Lagos den Status. Wer mehr hat, der ist auch mehr wert. Die Kluft zwischen arm und reich ist groß. Der Hass der ärmeren Bevölkerung auf die Elite ist enorm, wie besonders in Dibias Geschichte gelungen dargestellt wird. Die Oberschicht hat viel Geld und somit weniger Probleme. Wie groß der Einfluss der Elite ist, beschreibt Abani in Killer Ape.

Das Genre Fiktion ’noir‚ (Roman ‚noir‘) schließt in diesem Band Kriminal- sowie Stadtliteratur ein. Die Kriminalliteratur ist eine postkoloniale Literatur, adaptiert aus der westlichen Welt und gehört dennoch mittlerweile zu den attraktivsten Unterhaltungsgenres Afrikas, in denen die jeweiligen lokalen Realitäten widergespiegelt werden. Fiktion ‚noir‘ gibt es schon länger auf dem Markt, erreichte jedoch seit dem Jahr 2000 einen besonderen Aufschwung. Lagos noir stellt mit seinen Kurzgeschichten die Justiz sowie Gesellschaftsordnung Nigerias in Frage.

Auch als Stadtliteratur ist Lagos noir ein attraktiver Band. Die Autoren lassen uns in jeder Ecke von Lagos, Mäuschen spielen, sei es in Randgebieten oder mittendrin in der lebendigen Stadt. Alle Figuren sind von der Stadt geprägt und alle Geschichten spielen sich nie außerhalb des ausgewählten geographischen Raumes ab. Nnedi Okorafor, eine nigerianische-amerikanische Schriftstellerin, hat für den Band eine Geschichte über einen außergewöhnlich interessanten Charakter geschrieben und seine Umgebung gut rübergebracht. Dieser heißt Showlogo und er arbeitet auf einer Farm in der Stadt. Ich fand den Mann mit den Superkräften auf Anhieb sympathisch. Okorafor besitzt das kostbare Talent, als Autorin die Figuren einer Story, dem Lesenden nahe zu bringen.

Genau das macht dieses Buch so effektvoll. Als Lesende erhält man einen gekonnten Überblick über die Stadt. Man lernt die einzelnen Stadtviertel kennen, deren Eigenschaften und deren Leute. Man erfährt, wo die Elite wohnt und wo Armut herrscht. Wir lernen die Einwohner Lagos kennen. Jedes Mal aus einem anderen Blickwinkel. Durch den Stil der verschiedenen Autoren ist jede Kurzgeschichte auf ihre spezielle Art und Weise immer wieder eine unerwartete Überraschung. Es ist auch interessant zu sehen worüber die einzelnen Autoren schreiben. Wer sieht wo Probleme in der Gesellschaft von Lagos und wo Gefahr? Es gibt Überschneidungen bei den Autoren, ebenso Unterschiede. Als Leserin möchte ich direkt eine Kurzgeschichte nach der anderen lesen. Die Kurzgeschichten sind an eine Leserschaft gerichtet, die nicht 300 Seiten mit ein und derselben Geschichte verbringen wollen, sondern die Abwechslung lieben. Dieser Sammelband ist für die Lesenden unter uns, die unerwartete Wendungen mit dunklem Touch interessant finden. Die jedes Mal erneut die Neugier antreibt, was diesmal Unglaubliches in Lagos passiert ist. Das Buch bleibt durchgehend spannend und aufregend. Die Vielfalt der Kurzgeschichten von unterschiedlich erfinderischen Autoren, schaffen es jedes Mal, leuchtende Augen zu erzeugen und bleiben tief im Gedächtnis haften. So eine bunte Palette an eindrucksvollen Krimi-Kurzgeschichten über Lagos finden wir wirklich nur in diesem Taschenbuch.

Lagos noir ist Teil der weltbekannten City noir Buchserie von ‚Akashik Books‚. Diese Krimireihe hat insgesamt großen Erfolg erlangt und sogar einen Award erhalten. Crime Fiction erzählt aus aller Welt, von Berlin bis nach Lagos. Die Geschichten sind in erstklassigem Stil geschrieben und strahlen pure Lebendigkeit aus. Die Lesenden werden zum Teil der Stadt und ihrer Schattenseiten. Lagos noir ist spannend zu lesen, da der Ansatz von Problemlösung gegen die Kriminalität sehr speziell ist und man jedes Mal über den Ausgang der Geschichte verblüfft wird. Lagos ist eine einprägsame, gefährlich schöne Stadt. Der Band Lagos noir ist für ein Publikum interessant, das etwas Neues lesen will, das anders ist als die gewöhnlichen, bekannten Krimi-Stories. Auf jeden Fall ein Muss für alles Crime Fiction Fans unter uns.

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