Träume von Widerstand

„Wenn Träume nach dem Aufwachen noch Sinn ergeben, dann ist man in Wirklichkeit noch nicht wach.“ (S.63, Schneeflocke in Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer)

Es ist erstaunlich, wie der angolanische Autor und Journalist José Eduardo Agualusa gekonnt anhand verschiedener Generationen und einer Gruppe von Bekannten, Verwandten und Freunden einen Einblick und ein Einfühlen in die Geschichte Angolas schafft. Mit seinem kritischen Blick und der Fähigkeit die verschiedenen Stimmen der Bevölkerung widerzuspiegeln, wird er als einer der bedeutendsten Gegenwartsautoren für afrikanische und portugiesischsprachige Literatur bezeichnet.

Auf das Symbol des Traums und der Welten der Träume zurückgreifend, gelingt es ihm, in Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer, politischen Ereignissen und dem Trauma einer ganzen Nation eine mythische Dimension zu verschaffen. Gelesen in der deutschen Übersetzung, war der Gebrauch eines zum Teil lyrischen Schreibstils in einem Roman zu Beginn sehr ungewohnt. Agualusa schafft es jedoch das lesende Publikum schon nach wenigen Kapiteln durch anhaltende Spannung in seinen Bann zu ziehen. Wechsel von Erzählerperspektiven und den sich immer wieder wandelnden Informationen zu bereits vermeintlich beantworteten Fragen, geben dem Buch insgesamt die Dynamik und Rastlosigkeit, die auch die erzählenden Charaktere durchleben. Tagebucheinträge durchbrechen den Lesefluss und geben direkten Einblick in Erlebnisse und Vergangenheit der Figuren. So wird dem Publikum auch ein Einblick in die Zeit des Bürgerkriegs Angolas und seiner traumatischen Folgen für die Bevölkerung gewährt. Das Wandeln verschiedener Protagonist*innen durch Träume, geteilte Träume und der Traum einer Revolution, der durch das Aufbrechen durch die aktivistische Tochter der Hauptfigur des Romans gelebt wird, lassen Realität und Traumwelt zwar verschwimmen, schwächen jedoch nicht die Aussage der Erzählung ab. Um Träume, auch als Wünsche, Visionen oder Utopien zu sehen, sind mithin Willenskraft und Ausdauer essenziell, um Veränderung bewirken zu können. Ein wortwörtlich kollektiv geträumter Traum führt im Roman, wie aber auch in jeder Revolution zur Mobilisierung. Die gemeinsame Vision verbindet, auch wenn die Vergangenheit jeder Person und ihre Motivation im Leben unterschiedlich sein mögen. Der Roman schafft Einblick in die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und politischen Seiten des Angola vorm fiktiven Sturz des Präsidenten. Ein kritischer Journalist hat mit einer durch ihren Vater in der Politik klar konservativ positionierten Frau ein Kind. Die Tochter entwickelt sich zu einer Aktivistin, welche mit anderen jungen Leuten zum Sturz des Präsidenten führt und einmal mehr symbolisch für die politischen Spannungen steht. Dies ist eine grobe Beschreibung des roten Fadens, welcher sich insbesondere entlang der Wahrnehmung des geschiedenen Vaters zieht und selber die Funktion erfüllt im Verlauf der Geschichte diverse Nebenakteure in die Handlung einzuführen. Hinzugefügt werden muss an diesem Punkt, dass der Roman nicht historisch, sondern fiktional vorgeht. Somit sind nicht alle historisch anmutenden Informationen auf Angola übertragbar.

Trotz der teilweise schwierig nachzuvollziehenden und teils verwirrenden Handlungen, wird ein sehr deutliches und nachspürbares Bild davon kreiert, welche Auswirkungen politische Spannungen und Willkür auf Individuen, wie auch die gesamte Bevölkerung haben können. Die immer wieder in die Geschichte eingebauten Träume, ermöglichen Lesenden kurze Pausen von den Wirren und der Unruhe der Handlung.

Die Sprache der deutschen Übersetzung betreffend, gibt es jedoch anzumerken, dass der Begriff „Mulatte“/ „Mulattin“ im Roman ausgeschrieben und weder kursiv, noch in Anführungszeichen, noch mit Anmerkung des Übersetzers, unkommentiert, stehen gelassen wurde. Problematisch ist dies, da der Begriff im Portugiesischen durchaus zur Alltagssprache gehört, im Deutschen jedoch im historischen Kontext und im Hinblick auf seine Bedeutung ein beleidigender Begriff ist. Aufklärung über Verwendung und Bedeutung von kritischen Begriffen insbesondere bei Übersetzungen aus anderen Sprachen, sollten bei aktuellen und neuen Romanen inzwischen selbstverständlich sein.

Zu empfehlen ist der Roman dennoch. Gelesen werden kann er auch von Menschen ohne Vorkenntnisse zur angolanischen Geschichte, da das Buch eine Übersicht politischer Ereignisse und Begriffe enthält, sowie eine Karte Angolas mit den genannten Städten/Orten. Ebenso ist dieses Werk Leser*innen zu empfehlen, die für ungewohnte Schreibstile offen und an politischer Literatur interessiert sind.

José Eduardo Agualusa hat mit seinem neusten Werk wundervolle Arbeit geleistet, er verschafft dem Träumen wieder einen Platz und Wichtigkeit in einer Welt, in der es viel zu oft vergessen wird.

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