„Niru, my father shouts, please come back, talk to me. But there is nothing left to say.” (S.141, Speak No Evil)
Liebe und Wut. Stolz und Angst.
Diese Emotionen begleiten Niru und Meredith, ebenso wie die Überforderung mit diesen. Als Teenager müssen sie in einer Welt voller Intoleranz und Unverständnis, den eigenen Weg zu finden, dies macht Speak No Evil, zu mehr als nur Coming of Age Literatur. Autor und Arzt Uzodinma Iweala wurde bereits für seinen Debüt-Roman Beasts of No Nation mit vielen Preisen ausgezeichnet, dies setzte sich mit dem „Gold Nautilus Award for Fiction“ für Speak No Evil fort, sowie mehreren Auszeichnungen für eben dieses Werk. Iweala, welcher selbst mit nigerianischen Eltern in Washington D.C. aufwuchs und heute zwischen New York City und Lagos, Nigeria pendelt, lässt auch seinen Charakter Niru mit nigerianischen Eltern in der Diaspora, in Washington D.C. aufwachsen, ebenfalls geprägt durch regelmäßige Reisen nach Nigeria.
Niru und Meredith sind beste Freunde, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten, was umso mehr dadurch zur Geltung kommt, dass Teil 1 des Romans aus Nirus und Teil 2 aus Meredith Perspektive erzählt. Trotz ihrer Unterschiede teilen sie Themen, wie die schwierige Beziehung zu ihren Eltern, das Zurechtkommen in einer Welt die sie nicht zu verstehen scheint, die Kraft die sie sich gegenseitig geben und Liebe. Denn als sie kurz vor dem Abschluss der High School stehen, zeigt Meredith Niru, dass sie mehr von ihm will als Freundschaft, woraufhin er sich ihr gegenüber outet. Ein Coming of Age Roman, der durchaus der queeren Literatur zugeordnet werden kann. Einfühlsam, wie auch direkt, das Lesepublikum nicht schonend, lässt Iweala, Niru seine Welt teilen. Aufwachsend mit einem konservativen, der Kirche sehr zugewandten nigerianischen Vater, der das Überleben seiner Kinder in einer weißen Welt sichern will und gewaltvoll wird, als er von der Homosexualität seines Sohnes erfährt. Er besteht darauf, Niru einem Geistlichen in Nigeria anzuvertrauen. Von dort an führt der Autor schleichend, Schritt für Schritt mit gekonnten Verflechtungen aus Erinnerung und inneren Monologen des jungen Mannes, die Themen Depression, Männlichkeit, Glaube, Identität und Selbstliebe ein. Niru beginnt sich und sein Umfeld zu hinterfragen, während Familie und Kirche versuchen ihm zu sagen, welches der richtige Weg für ihn ist. „Maybe I have spent too much time in the United States soaking up ungodly values and satanic sentiments, as my father has said, and that has created a confusion only the motherland can cure. Or maybe I’m just me.” (S.57, Niru in Speak No Evil)
Die Suche nach sich selbst, in einer Lebensrealität, die das neu gefundene Selbst nicht annimmt. Das Treffen von Entscheidungen für oder gegen die selbstgewählte oder auferlegte Identität und Einsamkeit verfließend mit Beschreibungen von guten und schlechten Tagen, die es zu überstehen gilt, ohne die beste Freundin, denn Meredith und Niru zerstreiten sich. Der Autor gewährt beiden Charakteren Raum für Entwicklung und beleuchtet dabei, die Menschlichkeit im Unverständnis und dem Mangel von Empathie für das Gegenüber auf Grund eigener Probleme. Es gelingt ihm ebenfalls deutlich werden zu lassen, das solch ein Verhalten auch Konsequenzen nach sich zieht. Eine unaufhaltsame Kette von Ereignissen. Es wird plötzlich sehr deutlich, was zu Beginn vom Autor immer nur angedeutet wurde, jedoch auch offensichtlich sein könnte. Niru ist ein Schwarzer Mann in Amerika und lebt in einem System, in dem sein Leben nicht zählt, noch weniger seine persönliche Situation. Meredith ist eine weiße junge Frau, sie ist alleine aufgrund ihrer Hautfarbe privilegiert. Ein Ereignis folgt dem Nächsten und aus einer Coming of Age Story wird ein eindeutig politischer Roman, der im Laufe seiner Entwicklungen das System Rassismus und Schwarz-Sein in den USA thematisiert. Während gleichzeitig die Geschichte eines in der Diaspora aufwachsenden jungen Mannes weiter in den Hintergrund rutscht. Leser*innen werden überrascht und bekommen nicht was sie erwarten, dies macht den Roman umso lesenswerter. Er lässt das Publikum sich in der Sicherheit der, vermeintlich richtigen, Vorahnung für den Fortlauf der Geschichte wägen und überrumpelt schlussendlich. Denn es ist Meredith, die im zweiten Teil ihre weißen Privilegien und Nirus Geschichte reflektiert, der Autor lässt das Publikum die gesamte Intensität der Erkenntnis nachspüren, die einen Wendepunkt in Niru und Merediths Freundschaft geschaffen hat. Iweala macht mit seinen zwei unterschiedlichen Figuren und ihren sehr verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen in der Welt, seine Geschichte für ein breites Publikum zugänglich. Meredith Part beschreibt ihre Sicht auf die Ereignisse, nachdem sechs Jahre vergangen sind. Dies gewährt Lesenden einen Einblick in ihre persönliche Entwicklung und die der anderen Charaktere, denen sie begegnet. Sie reflektiert die Geschehnisse mit einigen Jahren Abstand, denn Meredith ist von Washington D.C. nach New York gezogen, hat sich von ihrem Elternhaus gelöst.
Der Roman ist für jede Altersgruppe zu empfehlen, die Vielfältigkeit der Handlung und dynamischen Beziehungen der Charaktere kreieren ein ganz besonderes Leseerlebnis. Wobei dies nicht zwangsläufig bedeutet, als lesende Person glücklich mit der Handlung zu sein. Anzumerken ist zudem, dass die nicht eindeutig markierte wörtliche Rede den Einstieg in den Roman etwas erschweren mag, den Lesefluss unterbrechen könnte, jedoch lediglich eine Gewöhnungssache ist.
Überwältigend ist dieses Werk für seine 200 Seiten, da die Vielfalt der Themen, überfordern kann, wenn sich allerdings auf die Handlung eingelassen wird, ist es positiv überraschend und intensiv. Es könnte sogar passieren, dass sich Lesende doch noch ein paar Kapitel mehr wünschen.
Mit dem Ende von Speak No Evil bleibt das Lesepublikum mit der Frage zurück, ob die Kette an Ereignissen, welche die Lebenswelt der Charaktere für immer verändert, hätte aufgehalten werden können und wann der Moment dafür hätte gewesen sein können.