„Something told me we were going to see father again, one day: if not in this life, then maybe in another.” (S.140, Running with Mother)
Das sind die hoffnungsvollen Gedanken von Rudo Jamela, einem 14 jährigen Schulmädchen, dass sich ohne es zu ahnen eines Tages in Mitten des Genozid in Simbabwe, nach einem Sprichwort; Gukurahundi (z.dt. „der frühe Regen spült die Spreu weg vor dem Frühlingsregen“) benannt, wiederfindet. Inmitten, nicht nur auf Grund der Tatsache, dass das Morden sie von einem Tag auf den Anderen umgibt, sondern auch aus dem schlichten Grund, dass ihr Vater als Ndebele zu den von der Regierung „Gejagten“ gehört und ihre Mutter als Shona Teil der Bevölkerungsgruppe ist, welche den Genozid antreibt, vollzieht und die Mehrheit im Land darstellt. Rudo (Shona) Jamela (Ndebele)- bereits auf der ersten Seite des fiktiv historischen Romans Running with Mother beginnt der preisgekrönte simbabwische Autor, Poet und Theaterautor Christopher Mlalazi sein Lesepublikum langsam und dann immer intensiver in die Strukturen des in den 1980er Jahren aufflammenden Genozids in Simbabwe einzuführen. Eine vom damaligen Präsidenten Robert Gabriel Mugabe eingesetzte Spezialeinheit der Regierung, mit dem Namen „Gukurahundi“, vollführte ein Massaker an der Bevölkerungsgruppe der Ndebele. Mugabe selbst, Teil der Mehrheitsbevölkerung der Shona, führte dies somit gezielt durch, um seine Macht zu sichern. Bis heute herrscht Schweigen über die Gräueltaten der 80er Jahre und es wird weder aufgeklärt, noch über das Morden gesprochen. Christopher Mlalazi, selber Ndebele, ist Zeitzeuge und schreibt somit nicht nur über die verschüttete Geschichte seines Landes, die 20.000 Menschen das Leben kostete, sondern auch über seine Eigene. Er klärt auf worüber nur wenige sich trauen aufzuklären. Sehr bewusst scheint er daher Rudo Jamela als Hauptfigur seines Romans gewählt zu haben, die ohne etwas dafür zu können zwischen beiden Seiten steht und gleichzeitig repräsentiert, dass sowohl Shona als auch Ndebele zu Simbabwe gehören. Rudo und Mlalazi führen Leser*innen langsam durch die Zeit des Beginns von Gukurahundi, es sind nur wenige beschriebene Tage dieser Zeit, in denen Angst, Unruhe, Trauer und Trauma Rudos Leben bestimmen. Es ist die Geschichte einer Überlebenden, deren Flucht, das (Weg-) Rennen mit ihrer Mutter, vor Gewalt und Willkür, der rote Faden des Romans ist. Obwohl ihre Mutter Shona ist, müssen sie fliehen, denn sie leben mit der Ndebele Familie von Rudo, um ihre Tochter und die letzten Überleben der Familie, ihre Tante und ihren Baby-Cousin zu retten, müssen sie „rennen“. Dabei lässt Mlalazi die Flüchtenden historische Ereignisse dieser Zeit beobachten und selber erleben. Das Anzünden von Häusern, in denen sich ganze Familien befinden, das Foltern von Gefangenen in Lagern, das Entstehen eines von vielen Massengräbern in einer still gelegten Miene, die Willkür und Brutalität der Soldaten. Trotz der vorherrschenden Gewalt im Roman, schafft der Autor es den Leser*innen, durch die anhaltende Hoffnung und Kraft der Charaktere, ein wenig die schwere der geschilderten Handlung zu nehmen. Mit Rückblenden zu vergangenen glücklicheren Tagen, ermöglicht er ein Durchatmen und Erholen, aber auch tieferes Verstehen der Charaktere, ihrer Geschichten und Beziehungen. Der gefangen genommene Vater Rudos ist trotz seiner physischen Abwesenheit präsent und Erinnerungen an seine Vergangenheit als Freiheitskämpfer während des Kriegs für die simbabwische Unabhängigkeit von der Apartheid, geben dem Publikum historischen Kontext und ein Verständnis für den Unglauben aller Figuren, dass die Gewalt zurückgekehrt ist. Viele Rückblenden sind unter anderem von Witz geprägt, geben die Möglichkeit für kurze Zeit aus der Intensität des, nur 140 Seiten langen, Romans auszubrechen, zu schmunzeln und bereit für den nächsten Teil der Flucht zu sein. Mlalazi schafft es einfühlsam und nicht wertend das Verdrängen von Trauma zu beschreiben, welches alle Figuren auf eigene Art und Weise durchleben „We quickly turned away without a word, as if explanations would increase the brutal reality.“ (S.79, Running with Mother)/„ I noticed that even though her eyes were on the body she spoke as if she hadn’t seen it.” (S.80, Running with Mother). Darüber hinaus wird im Roman ein Bild der simbabwischen Gesellschaft gezeichnet. Die primäre Nutzung von Shona in der Kommunikation, welche Rudo und ihrer Mutter letztendlich das Leben rettet und das nicht Übersetzen dieses im Buch, ist sinnbildlich für die Dominanz der Shona im Land zur geschilderten Zeit. Sowie ebenfalls bezeichnend für die Macht, welche eine vermeintliche Zugehörigkeit und das Beherrschen einer Sprache in gesellschaftlichen und politischen zusammenhängen haben kann. Deutlich wird in Running with Mother das Privileg (u.a. des Überlebens), welches Rudo und ihre Mutter im Gegensatz zu anderen haben. Konflikte auf Grund dieser Privilegien können auch in der Beziehung zwischen Rudos Mutter und ihrer Tante gesehen werden. Diese Konflikte sind bis heute Teil der simbabwischen Gesellschaft, bei welchen das Nicht-Anerkennen der Verbrechen von Gukurahundi, als solche, bis in die heutige Zeit eine zentrale Rolle spielt. Trotz der genannten Spannungen schafft der Autor es, es dem Publikum schwer zu machen, eine klare Ablehnung Rudos Mutter gegenüber zu entwickeln. Gekonnt gelingt es ihm zwischen der starken Trennung der Menschen in Shona oder Ndebele, Figuren als Individuen zu zeigen, wie sie leiden, leben und lieben. Insbesondere die Liebe der Mutter zu ihrer Ndebele Familie, lässt die Sympathie für sie mit der fortschreitenden Handlung wachsen. Es wird zudem nicht außer Acht gelassen zu untermalen, dass für die Mutter am Ende das Überleben ihrer Tochter und mit dem Finden von Rudos Baby Cousin, das Überleben ihrer Kinder am Meisten zählt. Das Buch beschränkt sich nicht nur auf eine Perspektive sondern öffnete dem Publikum die Augen für die Vielfalt von Lebenswelten inmitten unberechenbarer Gewalt und Ungerechtigkeit. Es schafft Raum zu verstehen, dass es sich um ein politisch durchgeführtes Morden handelte und dafür nicht alle Individuen einer Bevölkerungsgruppe verantwortlich gemacht werden können.
Christopher Mlalazi hat mit seinem Roman einen wertvollen politischen und historischen Beitrag in der Welt der afrikanischen Literatur, insbesondere der simbabwischen Literatur und Geschichte geschaffen. Das Buch ist die Stimme einer Nation, einer Bevölkerungsgruppe und eines Zeitzeugen für alle Zeitzeugen und nachfolgenden Generationen. In seinem Schmerz schafft es das Werk das verschüttete Trauma eines Landes zu befreien und gibt all denen Kraft, die bis heute nicht wagen darüber zu sprechen.
So wie es bei den Charakteren im Buch zu sehen ist, zeigt Mlalazi, dass aus Schmerz heraus Wachstum möglich ist. Hoffnung ist dabei das zentralste Gefühl, das der Roman vermittelt, denn obwohl er keine Lösung und kein „Happy End“ bietet, blickt die 14 Jährige Rudo mit der Hoffnung in die Zukunft, wenn nicht in diesem Leben, ihren Vater in einem anderen wieder zu sehen.
Dieser dynamische, leise, abwartende und realistische Roman, macht das Vergessen schwer. Leser*innen sollten sich dessen bewusst sein, wenn sie sich für ihn entscheiden. Jene, die die Beschreibung von gnadenloser Gewalt und tiefem Trauma zwischen den Zeilen nicht aushalten können, sollten das Buch jedoch besser gar nicht, oder nur Stück für Stück und nicht in einem lesen. Sich Abstand erlauben. Insbesondere, wenn Sie als Leser*in einen persönlichen Bezug haben sollten, kann dieses Werk eine emotionale und historische Herausforderung für sie darstellen. Diejenigen, die allerdings nach Spannung oder der Vervollständigung ihres Wissens der simbabwischen Geschichte suchen, dürfen dieses Buch nicht missen. Da ein weiterer besonderer Aspekt ist, dass es von einem als Ndebele sozialisierten Zeitzeugen geschrieben wurde und somit Geschichte aus der Sicht eines Betroffenen erzählt.