Im Jahr 2012 war ich auf einem Konzert von IRMA, die 2020 ein neues Album herausgebracht hat (https://www.irmaofficial.com). Bei dem Konzert damals bei Bordeaux bildete Gaël Faye die „Vorband“. Es ist nicht untertrieben zu behaupten, Gaël Faye sei ein Multitalent. Jahre später – man trifft sich immer 2 Mal im Leben – bringt meine Mitbewohnerin ein Buch aus Frankreich mit: „Petit Pays“ der Titel, auf Deutsch „Kleines Land“. Dieses kleine Taschenbuch mit gut 200 Seiten habe ich damals verschlungen. Nun habe ich mir die deutsche Fassung vorgenommen und die Begeisterung bleibt. Mit dichter, detailreicher Sprache kreiert Faye sehr realistische Szenen und Charaktere und fesselt damit seine Leser*innen.
Aus der Sicht eines Jungen an der Schwelle zur Jugend beschreibt Faye die glücklichen Tage des Kindseins bis der Krieg ausbricht in Bujumbura, Burundi. Bis dahin baut Gabriel mit seinen Freunden Armand, Gino und den Zwillingen Schiffchen aus Bananenblättern, veranstaltet ein Wettpissen oder geht auf Mangojagt bei der Nachbarin, der sie die Mangos später wiederverkaufen. Kleine Szenen werden authentisch geschildert und lassen die Leser*innen in Gabriels (Gedanken-)Welt abtauchen, in der es noch so etwas wie Langeweile gibt und der Nachbar mit seinem Schattenboxen nichts Befremdliches hat, doch „Die Erwachsenen hielten ihn für verrückt mit seinen Katas. Wir Kinder mochten ihn, wir fanden das viel normaler als vieles, was die Erwachsenen machten: Militärparaden organisieren, Deodorant in die Achseln sprühen, in der Hitze Krawatten tragen, die ganze Nacht im Dunkeln sitzen und Bier trinken oder diese endlosen zairischen Rumbastücke hören.“
Ein Höhepunkt und auch Wendepunkt des Buches ist Gabriels elfter Geburtstag, der gebührend gefeiert wird – ich wäre am liebsten dabei gewesen, konnte die aufgeladene Luft beinah riechen, den Regen fast auf der Haut spüren und hätte gern mitgetanzt, begleitet von Freudenschreien, Gitarre, Trompete und den zum Klingen gebrachten Bierflaschen.
Die Stimmung kippt, obwohl das Buch bereits beginnt mit der Frage nach ethnischer Zugehörigkeit beziehungsweise dem Versuch von Gabriels Vater zu erklären, wodurch sich Hutu und Tutsi unterscheiden. „So sehr ich mich auch bemühe, ich kann mich nicht mehr erinnern, wann genau wir eigentlich angefangen haben, anders zu denken. Nämlich, dass es auf der einen Seite nur noch uns gab und auf der anderen lauter Feinde []. Ich frage mich immer noch, wann meine Freunde und ich anfingen, Angst zu haben.“
Gabriels Mutter stammt aus Ruanda Gabriels Vater ist Franzose – damit hat das Buch sicherlich autobiographische Züge.
Es folgen die Drangsalierungen und Entsagungen, die Flucht und die Konsequenzen des Krieges. Faye verschont seine Leser*innen nicht. Was Faye beschreibt sind Grausamkeiten, für die es keine Worte gibt. Und das in einem Buch für eine junge Leserschaft. Wie geht das zusammen? Gaël Fayes Roman war sogar so erfolgreich, dass er mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet wurde.
Ich meine, das hängt mit der Authentizität zusammen, die Faye ausstrahlt. Hört auch seine Musik. Diese Kunst wird auch in seiner Literatur offenbar.
Bewegend. Großartig – ein Buch, nicht nur für eine junge Leserschaft