Americanah ist der Roman, mit dem die nigerianisch-stämmige Autorin Chimamanda Ngozi Adichie 2013 internationale Begeisterung erlangte und zu eine der großen Stimmen der Weltliteratur wurde. Und das ganz zurecht: Americanah ist als große Liebesgeschichte anrührend und dabei gleichzeitig spannend wie ein Kriminalroman und erkenntnisreich wie ein Sachbuch – eine absolute Leseempfehlung!
Americanah erzählt auf berührende Weise einerseits eine Migrationsgeschichte, die Geschichte einer Ankunft in den USA. Andererseits erzählt Americanah die Geschichte einer Rückkehr nach Nigeria, was schon der Titel verrät – Americanah ist nämlich die in Nigeria übliche Bezeichnung für Rückkehrer aus den USA.
Americanah ist aus der Sicht der beiden Liebenden Ifemelu und Obinze, die sich in den 1990er Jahren in Nigeria noch zu Schulzeiten kennenlernen, geschrieben. Die beiden entstammen der nigerianischen Mittel – und Oberschicht und verlassen das Land als junge Erwachsene, um bessere Lebenschancen zu haben. Ifemelu studiert mit Stipendium in Princeton, aber auch die Hilfe ihrer Tante Uju, die als Ärztin in den USA arbeitet, kann ihr nicht über die Startschwierigkeiten und finanzielle Nöte hinweghelfen. Der bezahlte „Gefallen“, den sie einem älteren weißen Mann tut, wirft sie endgültig aus der Bahn: Ifemelu verfällt in eine Depression und antwortet ihrem geliebten Obinze nicht mehr. Über ein Jahrzehnt lang verlieren sich die beiden aus den Augen, auch wenn ihr Band – wie bei jeder großen Liebesgeschichte – bis zu ihrem Wiedersehen in Lagos nie zerbricht. Parallel zu Ifemelu´s Geschichte wird die Geschichte von Obinze als illegaler Einwanderer in London erzählt, der sich mit falschem Ausweis und einer geplanten Scheinehe über Wasser zu halten versucht. Sein Plan scheitert und er wird nach Nigeria abgeschoben, wie um ausgleichende Gerechtigkeit herzustellen, erlangt er als Makler dort mit dem Handel von illegalem Baugrund und Immobilien Erfolg und Reichtum.
Ifemelu macht zwar zwei wichtige Beziehungserfahrungen in den USA – sie trägt aber stets eine Schwere und eine Sehnsucht in sich – nach Nigeria und nach ihrer Jugendliebe Obinze. Der weiße Amerikaner Curt verkörpert – ein bisschen schablonenhaft dargestellt – den wohlhabenden, optimistischen Ostküstentyp, der Ifemelu ein Aufsteigerleben mit Wochenendkurztrips nach Europa bietet und ihr letztendlich eine green card, verschafft, sodass sie endlich legal arbeiten kann. Sie verlässt ihn ebenso wie seinen Nachfolger Blaine – der als Typ intellektueller Afroamerikaner, Yale-Dozent (natürlich links, progressiv und Vegetarier) gezeichnet wird. Ihre beiden Beziehungen vergleicht Ifemelu mit „einem Haus, mit dem sie zufrieden war, in dem sie jedoch immer am Fenster saß und hinausschaute“. Ifemelus Entschluss, Blaine und die USA zu verlassen und nach Nigeria zurückzukehren, wird der Leserschaft in den ersten Seiten des Buches mitgeteilt, aber erst der siebte und letzte Teil des 477 Seiten dicken Romans spielt schließlich durchgehend in Lagos. Die Aussicht auf ein Wiedersehen hält die Spannung in Americanah über den langen Erzählzeitraum von 15 Jahren aufrecht; als Leser*in will man wissen, ob Ifemelu und Obinze sich wieder begegnen werden und ob der alte Zauber noch da sein wird. Die Lösung für das Dilemma, dass die alte Jugendliebe nun mal in einer gefühllosen Ehe steckt und ein Kind hat, ist dabei durch und durch ehrlich und nicht verkitscht. Mehr sei hier nicht verraten, mehr verrät nur die Lektüre des Romans selbst.
Ein cleveres Stillmittel in Americanah sind die beiden Blogs, die die Protagonistin schreibt und die wie kurze Essays in den Roman eingestreut sind. Ihr Blog „Raceteenth – oder Ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen“ macht Ifemelu erfolgreich, wer ihn liest, wird in die Sicht einer Afrikanerin, die erst in Amerika zur Schwarzen wurde, eingeführt. Der Blog sensibilisiert die weiße Leserschaft für viele Themen, denen SchwarzeMenschen im Alltag ausgesetzt sind und die aufgrund der hinter Rassismus stehenden Machstrukturen nicht durch eigene, andere Diskriminierungserfahrungen bagatellisiert werden können. Im Blog geht es um Rassismus, Vorurteile und Polizeigewalt im modernen Amerika; Diskriminierungen, die subtiler daherkommen als zur Zeit der Rassentrennung, sich aber in fast allen Alltagserfahrungen zeigen. Auch scheinbare Oberflächlichkeiten wie Frisuren spielen im Blog eine große Rolle, wie etwa die Frage: Welche Schwarzen Frauen glätten ihr Haar, welche lassen es als Afro stehen, welche lassen es zu Zöpfen flechten und wo können sie letzteres tun? Die Antwort ist, dass die Schwarze Frau sich die Haare glätten muss, wenn sie erfolgreich sein will (etwa Michelle Obama), der Afro in Amerika nur als politisches Signal stehen darf und frau sich Zöpfe nur noch in der armen Vorstadt flechten lassen kann.
Americanah lebt von der Intelligenz, dem kritischen Auge und der Phantasie seiner Protagonistin. Ihre Erfahrungen werden immer auch auf einer Metaebene reflektiert, ihr persönliches Leben wird politisiert, Zeitgenössisches soziologisch reflektiert. Gewissermaßen ist Americanah auch ein Zeitbericht über die erste Präsidentschaft von Barack Obama, die kollektive Euphorie (nicht nur) unter Afroamerikaner*innen ausgelöst hat. Die Charaktere werden warmherzig und sympathisch beschrieben, wenn auch die amerikanischen Charaktere ein wenig stereotyp und weniger facettenreich dargelegt werden als die nigerianischen. Die Sprache ist pointiert und witzig und zugleich voller erfrischender Bilder; so gut, dass man sich viele Sätze des Romans gerne herausschrieben würde.
Americanah ist für alle empfehlenswert, die ein echtes Leseabenteuer zum Abtauchen suchen und sich zugleich mit den Themen Identität, Migration und Rassismus in Romanform auseinandersetzen wollen.