Der Roman „The Dragonfly Sea“ (deutscher Titel „Das Meer der Libellen“) ist ein frisches Werk aus der Feder der kenianischen Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor. Wie in ihrem ersten Roman „Dust“ von 2006, wählt sie einen zentralen geografischen Bezugsort in Kenia und zwar die Insel Pate, die zum Lamu-Archipel gehört, das im Indischen Ozean liegt. Die Erzählung liegt zeitlich zwischen dem Ende des 20. Jahrhunderts und dem Anfang des 21. Jahrhunderts. Die zentrale Figur ist ein Mädchen Namens Ayaana, das im Laufe des Buches erwachsen wird und in dieser Zeit die Zeugin vieler Schicksale wird, sowie selbst große Abenteuer auf der Insel und in der Ferne erlebt. Ihre Lebensgeschichte ist bei Weitem nicht die einzige, die die Leserschaft im Laufe des Buches erlebt. Das Schicksal ihrer Mutter und auch eines Matrosen, der zu einer Vaterfigur für Ayaana wird, sind auch sehr wichtige und teilweise eigenständige Erzählstränge, die für Ayaana nur indirekt aus Erzählungen bekannt werden. Ähnlich überschneiden sich die Lebenswege der weiteren Figuren mit denen dem Mädchens.
Der Roman kann mit gutem Gewissen als politisch und historisch betrachtet werden. Eine romantische Komponente ist soweit ausgeprägt, dass es an einigen Stellen auch als Märchen oder Saga wahrgenommen werden kann. Es liegt viel Mystik in der Luft, viele Rätsel, viel Unbekanntes, welches darauf wartet, entschlüsselt oder entdeckt zu werden. Harte politische Realität, Beziehungsdramen schlagen zwischendurch auch immer wieder zu. Das Leben wendet sich aber auch zum Guten, Figuren feiern Siege, erleben positive Überraschungen. So wird die Erzählung nicht zu einer düsteren Geschichte des Leidens, sondern viel mehr eine ausgewogene Unterhaltung.
Aus der westlichen Perspektive wirkt es überraschend, nachdenklich, fast schon aufklärerisch, dass die Romanfiguren sich in erster Linie im Indischen Ozean zwischen Afrika und China bewegen. Später führt der Weg in die Türkei, aber die Verbindung nach Europa, zum Westen, wird stark vermindert. Dies ist ein schöner Perspektivenwechsel und eine Ergänzung der westlichen Sichtweise auf die Welt.
Die Autorin versuchte im Laufe des Romans jegliche aktuell relevante Themen in die Handlung einzubinden: Die politische und ökonomische Situation in Kenia, Piraten vor der Küste Somalia, Entwicklungen in China, Terrorbekämpfung durch westliche und lokale Mächte, Dialog der Kulturen, Gleichberechtigung der Frauen, die Auseinandersetzung mit der Religion usw. Dieser Weg durch alle Kontrollpunkte wirkte doch ein wenig zu konstruiert, zu aufgesetzt.
Das Buch umfasst ca. 600 Seiten. Die Leserschaft braucht einen langen Atem und soll gar nicht versuchen das Ende zu erraten. Die Geschichte wirkt nicht abgeschloßen, es gibt keinen Spannungsbogen, der durch das ganze Buch hindurch geht. Vielmehr ist das eine Reihe oft überlappender Spannungsbögen. Das Buch wird gut bei einer Leserschaft ankommen, die eine langfristige schöne und anspruchsvolle Unterhaltung nötigt hat, da ihr eigenes Leben nicht abenteuerreich genug ist und für die der Weg wichtiger ist als das Ziel.
Hallo, die Rezension deutet nur kurz an, wie wichtig die Beziehungen China – Ostafrika in dem Roman sind. Diese historischen und persönlichen Verbindungen sind zentral, dazu hätte ich gern ein wenig mehr erfahren.