Der Sammelband She Called Me Woman ist einer der Fälle, in denen die Einleitung die tragende Rolle des Werkes übernimmt. Man denke an die moderne Kunst, bei der das einfache Betrachten des Objektes nicht unbedingt zur vollen Verinnerlichung der Künstlerbotschaft führt. Es ist wichtig den „Begleitzettel“ aufmerksam zu lesen.
She Called Me Woman ist das Ergebnis einer umfangreichen Arbeit, die quasi an eine sozialwissenschaftliche Studie grenzt. Es wurden zahlreichen Interviews mit Queer-Frauen aus und in Nigeria geführt, die zwischen 20 und 42 Jahre alt waren. Zwanzig von diesen Interviews wurden in den Sammelband aufgenommen. Die Aufbereitung des Materials wurde minimal gehalten, um Authentizität zu bewahren. Die Erzählungen wurden anonymisiert.
Es ist ein politisch motiviertes Werk. Es geht darum die Situation der Queer-Communities in Afrika am Beispiel Nigeria‘s durch die autobiographischen Geschichten zu vermitteln und den queeren Menschen eine moralische Unterstützung zu geben. In einigen Erzählungen handelt sich auch um Auswanderer in die westliche Welt, bzw. deren Kinder, die sich aber trotzdem dem Einfluss der kulturellen Wurzeln nicht vollkommen entziehen können, wie in dem Beitrag „Focusing On Joy“ einer US-Amerikanerin mit nigerianischen Wurzeln. Diese Betrachtungsperspektiven bieten die Möglichkeit eines zusätzlichen Vergleichs der Situation in unterschiedlichen geographischen und vor allen sozial-politischen Strukturen.
Einzelne Kurzgeschichten sind als autobiographische Monologe aufgebaut und meistens chronologisch, ähnlich der Antwort auf die Frage „Wie war dein Leben bis jetzt als Queer? Erzähl mal!“. Es ist eine Erzählung unter Freunden, entspannt, ohne Hektik, ohne einen aufgebauten Spannungsbogen, so trivial und banal, wie das Leben manchmal ist, aber auch mit ergreifenden Momenten, die manchmal distanziert und ohne Dramatisierung erzählt werden und trotzdem, oder vielleicht deswegen, zur Gänsehaut beim Leser führen. Einige Frauen werden emotionaler, drücken ihre Empörung, Angst oder Traurigkeit offen aus und anscheinend schaffen die Interviewenden es diese Emotionalität zu Papier zu bringen zu können.
Inhaltlich hält sich das Thema „Queerness“ in Grenzen und wird nicht zum Selbstziel der Geschichten. Die Beziehungsdramen oder Kindheitserinnerungen sind trotz spezifischer Aspekte meist nicht von Lebenssituationen Heterosexueller zu unterscheiden. Das ist vermutlich einer der „Geheimwaffen“ des Sammelbands – ein Schleichangriff auf die Normen der Gesellschaft. Die Queer-Frauen werden der Gesellschaft nicht entgegen gesetzt, nicht marginalisiert, sondern als Teil der „normalen“ Gesellschaft dargestellt. Genau darauf beruht die Empörung der Queer-Community, wenn deren Mitglieder als Außenseiter, als Werk Satans oder als psychisch krank bezeichnet werden, obwohl die sexuellen Vorlieben einiger „Heteros“ deutlich weiter in ihrer Abweichung von den Normen gehen.
Die deklarierten Ziele des Sammelbandes scheinen erreichbar zu sein. Das Zielpublikum aus der Queer-Community wird sein Gefallen am Buch finden und eine moralische Unterstützung in schwierigen Zeiten oder Regionen finden. Andere Leser, die nicht in der Materie stecken, erfahren nicht zu viel Neues. Vielmehr ist das eine quasi dokumentarische Bestätigung, dass die Welt nicht untergehen wird, wenn ein paar Gay-Paraden mehr stattfinden oder wenn das eigene Kind sich als queer entpuppt.