“He did not get the same feeling of space or expansiveness here as he felt when he was back home.” (S.84 Magistrate in The Maestro, The Magistrate & The Mathematician)
Wenn das Heimatland verlassen werden muss, weil es für einen selber, oder die Familie keine Perspektive gibt und das Ausland mehr verspricht, wenn man sich gezwungen fühlt zu gehen, dann ist es schwierig die Nostalgie nach der Heimat aufzugeben und sich zu erlauben in der Fremde wirklich anzukommen. Tendai Huchu beschreibt in seinem Roman The Maestro, The Magistrate & The Mathematician genau diesen Zustand des Lebens dreier simbabwischer Männer Anfang der 2000er in Edinburgh, Schottland. Huchu selber ist Simbabwer, lebt und arbeitet als Autor und Podologe in eben dieser Stadt. Sein Werk beschreibt vielleicht genau aus diesem Grund sehr präzise die Situation in der die Simbabwer, der „Magistrate“, „Mathematician“ und „Maestro“ sich wieder finden. Noch nicht richtig in der neuen Heimat angekommen, obwohl sie schon einige Zeit in der schottischen Stadt leben, sind sie mit ihren Gedanken trotzdem immer noch in Simbabwe. Sei es, um zu vergessen und nicht zu erinnern, konstant die Nachrichten verfolgend, in der Hoffnung nach neuen hoffnungsbringenden Berichten für das eigene Land, oder auch eigene Investitionen im Heimatland im Auge behaltend. Die Charaktere wechseln sich in Form von Sektionen ab, aus ihrer Perspektive mit den Lesenden ihren Alltag, ihre Gedanken und Sorgen zu teilen. Dabei handelt es sich um die Sorgen von Menschen in der Diaspora, welche beunruhigt und in ständiger Anspannung auf Veränderungen in der sich stetig verschlimmernden Wirtschaftskrise und politischen Situation hoffen und eher nebenbei ein Leben im Ausland führen. Huchu bietet einen detaillierten Einblick in das alltägliche Leben seiner Charaktere, was ihre Situation umso greifbarer macht. Sie stellen sich selber durch Rückblenden in ihre Vergangenheit und innere Monologe vor. Zwischenmenschliche Beziehungen und die Verwobenheit der Leben der einzelnen, vorgestellten Individuen und ihrer Geschichten können Leser*innen immer wieder in Erstaunen versetzen. Denn auf den ersten Blick unterscheiden sich die drei Männer, an denen sich die Geschichte entlang entwickelt, nicht nur in den Generationen, sondern auch in ihrem Wesen und Erleben stark.
Der „Magistrate“ ist Familienvater und ehemals angesehene Persönlichkeit, welcher in Schottland erst arbeitslos und dann auf einer seiner Qualifikation nicht entsprechenden Stelle im Gesundheitswesen Arbeit findet. Er führt Lesende in simbabwische Musik und ihre Bedeutung ein, kann zunächst nicht von nostalgischen Erinnerungen an die Vergangenheit ablassen und wird vom neuen Leben in neuem Umfeld mit neuen Regeln, sowie seiner ebenfalls neuen gesellschaftlichen Position herausgefordert. Gleichzeitig versucht er sich auf das neue und andere Leben der jungen (simbabwischen) Generation, wie das seiner Tochter einzulassen.
Teil einer jüngeren Generation ist auch der „Mathematician“, seine Person scheint auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig, unreif und unreflektiert. Merkwürdige Witze gehören zu seiner Kommunikation und Hutchu baut in seine Sektionen unterschiedliche Schriftarten, Zahlen und Symbole ein, welche den vermuteten kindischen Geist noch hervorheben. Im Laufe des Romans stellt sich jedoch heraus, dass es sich um einen, wenn auch wirtschaftlich privilegiert aufgewachsenen, sehr reflektierten Charakter handelt. Seine gesellschaftskritischen Ansichten behält er jedoch in der Regel für sich.
Vom „Maestro“ lässt sich über viele Seiten sehr wenig erfahren. Sein Leben dreht sich um Bücher und es lässt sich ein stark depressiver Zustand der Person erahnen, in dessen Zügen er Menschen von sich stößt und in selbstgewählter Einsamkeit, den Sinn des Lebens hinterfragt. Dieser Zustand der anhaltenden Schwere und des ewigen Lesens und Analysierens kann für Leser*innen fast schon zu anstrengend werden. Daher sind die Perspektivwechsel eine Bereicherung für den Roman und ein starkes Beispiel für nebeneinander existierende Lebensrealitäten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Verflechtungen zwischen den Leben der im Roman vorgestellten Figuren entstehen oft durch ihre Gemeinsamkeit als in der Diaspora und nach Halt suchende Simbabwer. Verbindungen in die Heimat, mit anderen Simbabwern oder auch politischer Aktivismus gegen Korruption und Politik zu Hause sind Halt gebenden Elemente.
Der Roman wird von Huchus humorvollem Schreibstil getragen. Wechsel zwischen den drei sehr intensiven und erzählenden Persönlichkeiten, wie auch die immer wieder aufkommenden Hinweise darauf, dass sich ihre Wege früher oder später kreuzen könnten, sorgen für ein stetig anhaltendes Interesse am Fortlauf der Handlung.
The Maestro, The Magistrate & The Mathematician ist ein vielseitiger Roman, der die Zerrissenheit derer beschreibt, die in die Diaspora gingen. Ebenfalls beschreibt er eine Zeit Simbabwes aus der Außensicht, die auf Grund der sich anhaltend verschlechternden Lage im Land als „Lost Decade“ gilt. Huchu hat eine Momentaufnahme geschaffen, der es sich lohnt seine Zeit zu schenken, sei es aus Interesse an simbabwischem Leben aus der Sicht der Diaspora, oder um einen Einblick in die Vielschichtigkeit seiner Charaktere zu bekommen. Ein empfehlenswerter Gesellschaftsroman, insbesondere für Menschen, die sich für Geschichten über innere Zerrissenheit und das Ankommen begeistern.
Hallo, ich bin auf das Buch neugierig geworden, danke. Mir ist noch nicht ganz klar geworden, ob es sich um drei Ich-Erzähler handelt oder mit dem Perspektivwechsel jeweils ein Erzähler von außen den Fokus zwischen den drei Figuren wechselt?