„Wir brauchen neue Namen“ – nämlich Doktorennamen, das beschließen die zehnjährige Darling, die als Ich-Erzählerin durch den auf Englisch gleichnamigen Roman von NoViolet Bulawayo führt, und ihre Freunde in einem eigentlich traurigen Moment: die 11-jährigen Freundin Chipo ist nach einer Vergewaltigung durch ihren Großvater schwanger geworden, ihre Freunde wollen eine Abtreibung durchführen. Das ist nur einer der Momente im Roman, der vor allem durch die kindliche Perspektive der eigentlichen Schwere der Situation entflieht und durch eine freche, kindliche, manchmal derbe und immer sehr nahbare Sprache glänzt.
Darling und ihre Freunde leben in Paradise, dem Ort, der ihr Leben darstellt, aber alles andere ist als ein Paradies: Paradise ist der ironische Name für die Blechhüttensiedlung an einem armen Ort in Simbabwe. Hier wird der AIDS-kranke Vater der Protagonistin vor den Freunden versteckt, hier entdecken die Kinder eine Leiche, hier machen sich die Kinder über Weiße aus NGO´s lustig. Von hier aus strömen die Kinder in reichere Viertel (namens „Budapest“) um zu klauen, denn auch Verzicht und Hunger bestimmen ihr Leben. Ihre Kindheitserlebnisse aber zeigen – trotz all der widrigen Umständen – auch ein Bild der Normalität, der Kindheit und des Lebens, das sie nun mal haben. Darling ist sich zwar ihrer Armut bewusst – vor allem, da sie erst in ihr Leben getreten ist, als ihr richtiges Haus, in dem die Familie gewohnt hat und sich gut versorgen konnte, zerstört wurde; Armutsklischees oder Mitleidserzeugung sind aber weder Themen noch Stilmittel des Romans.
Als Darling 13 Jahre alt ist, wird sie von ihrer Tante Fostalina in die USA mitgenommen. Die Migration in die USA sollte Darling ein besseres Leben ermöglichen, sie entzieht ihr aber nicht nur ihren Lebensraum, sondern auch ihren Verständnisraum. Amerika ist nicht die versprochene Verheißung, in der Ferne vermisst sie die Heimat, findet aber auch keinen Zugang zu ihren alten Freunden. Entfremdung, Ausgrenzungserfahrungen und das Vergessen von Traditionen über Generationen sind migrationsspezifische Themen des zweiten Teils des Romans. Der Teil, der in Amerika spielt, ist aber ebenso eine klassische Teenagergeschichte – mit den Problemen, die das Teenagersein, mit sich bringt – wie der erste Teil des Romans, der in Simbabwe spielt, eine Kindheitsgeschichte ist, in der Themen wie Freunde, Streiche, erste Kriminalität und Auseinandersetzungen mit den Eltern eine Rolle spielen.
Es ist besonders die sympathische Erzählperspektive, die den Roman interessant macht. Kleinigkeiten wie etwa, dass ihr alle Amerikaner über Afrika erzählen, irritieren Darling und andere Erlebnisse, wie die beobachtete Vergewaltigung als Kind, versteht sie erst später, als sie im Keller ihres amerikanischen Hauses mit ihren Freunden verstörende Pornos schaut. Anders als etwa in Americanah werden die Themen Rassismus und Identität hier nicht akademisch aufgearbeitet, sondern im alltäglichen Erleben von Darling gezeigt. Besonders an dem Buch ist auch, dass es nicht in der afrikanischen Mittel- und Oberschicht spielt, sondern das Leben von armen Menschen beleuchtet. Der Blick durch die kindlichen Augen mag auch hilfreich dafür sein, dass Bulawayo niemals in die „Othering“-Falle tappt.
Die Autorin NoViolet Bulawayo ist 1981 in Simbabwe geboren, ihr leiblicher Name ist Elizabeth Zandile Tshele. Den Titel „Wir brauchen neue Namen“ hat sich die Autorin auch als Motto für sich zu eigen gemacht; sie schreibt unter einem Pseudonym mit einer besonderen Bedeutung: Violet hieß ihre Mutter, die starb als die Autorin 18 Monate alt war, und „No“ bedeutet „mit“, Bulawayo ist die zweitgrößte Stadt Simbabwes, in der sie geboren ist. Die Autorin zog zwar mit 18 Jahren zum Studium zu ihrer Tante nach Detroit/ USA, autobiografische Bezüge im Buch gibt die Autorin als nicht sehr stark an; sie sei in einem Simbabwe vor der Krise und nicht in einem diktatorischen Willkürregime und einer Zeit des politischen Verfalls wie ihre Protagonistin Darling aufgewachsen.
NoViolet´s Debütroman „We need new names“ wurde in 17 Sprachen übersetzt, sie stand damit als erste Schwarzafrikanerin und erste Autorin aus Simbabwe auf der Shortlist des Man Booker Preises. Der erste Teil des Buches, der in Simbabwe spielt, liest sich erfrischend und spannend. Der zweite Teil des Romans befasst sich mit dem Thema des gescheiterten Glücksrittertum durch Migration und erzählt damit eine konventionellere, weil häufiger bereits erzählte, Geschichte. Das ist ein Roman für eine neugierige Leserschaft, für junge Leser*innen, die gerne Coming-of-Age–Geschichten lesen, für Leser*innen, die sich für das Thema Migration interessieren oder für alle, die einfach mal ein ungewöhnlicheres Buch lesen wollen.
Hallo, mich wundert, dass Sie sagen, Armutsklischees seien kein Thema des Romans. Gerade dieser Roman hat eine riesige Debatte darüber ausgelöst. Der Schriftsteller Helon Habila sprach von Poverty Porn, ihm wurde entgegnet, dass er Bulawayos Form der Kritik durch Übertreibung nicht verstünde.