Der im französischen Original 2018 unter dem Titel Frère d d’âme erschienene Kurzroman des senegalesisch-französischen Autors David Diop erzählt die Geschichte eines jungen Mannes aus dem Senegal, der im 1. Weltkrieg für Frankreich kämpft. In Frankreich wurde das Romandebüt des Autors zu einem Bestseller, 2019 erschien der Roman in der deutschen Übersetzung unter dem leicht plakativen Titel Nachts ist unser Blut schwarz – passend dazu in einem düster gehaltenen Hardcover, auf dem eine karge Baumlandschaft mit roten (Blut?) – Flecken besprenkelt wird.
Im Nachwort beschreibt Diop die historischen Hintergründe des Romans. 180 000 „Senegalschützen“ – eine Bezeichnung, die sich auf alle Soldaten aus dem Kolonialreich Frankreichs in West- und Zentralafrika bezog – kämpften im ersten Weltkrieg für die Franzosen. Jeder sechste von ihnen verlor sein Leben im Krieg, die meisten in den Grabenkriegen gegen die Deutschen; hier ist auch der Roman angesiedelt. Die rassistisch als „Schokosoldaten“ bezeichneten Männer wurden mit Macheten ausgestattet, um ihren Ruf als „Wilde“ zu unterstreichen und als erste auf den Schlachtfeldern verheizt.
Der Kurzroman geht unter die Haut. Das Buch ist komplett als Monolog aus der Sicht des senegalesischen jungen Mannes Alfa Ndiaye verfasst. Es fühlt sich an, als sei man seiner Innenansicht, seinen Gedanken und Gefühlen in aller Wucht und Grausamkeit ausgeliefert. Der beschriebene Handlungsstrang selbst umfasst nur wenige Wochen und wird in seiner stringenten Erzählweise nur unterbrochen durch Rückblenden in die Kindheit und Jugend des 20-jährigen. Die Rückblenden sind die einzig schön zu lesenden Stellen in dem sonst blutigen Roman. Der Krieg wirkt wie ein Donnerschlag, der über die Harmonie des Bauernjungen hereinbricht, die zuvor erst einmal durch das Verschwinden und die mutmaßliche Entführung seiner Mutter getrübt wurde.
Die Handlung selbst ist schnell erzählt: Mademba Diop, Alfas‘ Kindheitsfreund und „Seelenbruder“, wurde aus dem Hinterhalt durch einen sich schlafend stellenden deutschen Soldaten schwer verletzt und kehrte mit heraushängenden Gedärmen mehr tot als lebendig zurück. Mademba fleht seinen Freund dreimal an, ihn zu erlösen, ihn zu töten. Alfa schafft es nicht, der Bitte seines Freundes zu entsprechen. Der Freund verblutet elendig. Alfa bereut seine Verweigerung und bittet den toten Freund um Verzeihung, doch für sein eigenes Seelenheil ist es zu spät.
In diesem Schlüsselmoment des Buches bricht etwas in Alfa: er möchte seinen Freund rächen, indem er blauäugige Soldaten tötet. Er tötet wie im Rausch im Nahkampf aus dem Hinterhalt, immer nachts, und bringt die abgehackten Hände, an denen noch die Gewehre der Feinde hängen, als Kriegsbeute mit. Dafür erfährt er erst Bewunderung in der Truppe, bald jedoch wenden sich die anderen von ihm ab, sie fürchten ihn und bezeichnen ihn als Hexersoldat. Nach der siebten mitgebrachten „Trophäe“ wird selbst dem blutrünstigen Hauptmann sein Schützling zu unberechenbar, sodass er ihm einen Urlaub von der Front verordnet. In einer psychiatrischen Heilanstalt beginnt Alfa in das Erlebte zu verarbeiten.
Gefühlt ist in jeder Zeile des Buches die Grausamkeit des Krieges zu spüren. Die Verwandlung eines abenteuerlustigen jungen Mannes, der noch kurz vor dem Aufbruch in den Krieg seine erste beglückende sexuelle Erfahrung gemacht hat, zum Mörder auf dem Schlachtfeld, wird eindrücklich beschrieben. Er entscheidet über Leben und Tod, über Recht und Unrecht– so weit ist er abgekommen von der richtigen Einschätzung einer Situation und vom Gefühl für sein Gegenüber. Zum Schluss verliert er sich vollkommen und depersonalisiert aus seinem eigenen Körper. Ebenfalls zweideutig bleibt dabei die Darstellung des Innenlebens des Alfa Ndiaye: war er schon vorher psychisch auffällig und lebt seinen Wahnsinn nun im Krieg aus? Immerhin wurde schon im Senegal über ihn erzählt, er sei ein Seelenfresser und würde Mademba´s Kräfte rauben. Oder lesen wir hier die Verwandlung eines Mannes durch den Krieg, eine frühe Schilderung einer posttraumatischen Belastungsstörung?
Der Fokus des Buches ist das Psychogramm Alfa Ndiayes, nicht der historisch-politische Hintergrund. Der Rassismus gegenüber den Senegalsoldaten wird aufgegriffen, aber in der konsequenten Innenperspektive des Erzählers in keinen Rahmen gesetzt oder problematisiert. Durch die prototypische Überzeichnung des Alfa Ndiayewird die Ideologie des „Wilden“ klischeehaft aufgegriffen. David Diop wollte sie wohl durch diesen Kunstgriff ad absurdum führen, es kann aber auch gefährlich sein, ebendiese Bilder zu bedienen.
Das Buch ist keine angenehme Unterhaltungsliteratur und nichts für empfindliche Gemüter, man braucht starke Nerven, um die detailliert geschilderten Tötungsszenen zu ertragen. Rhythmisch und fast mantraartig werden einzelne Sätze wiederholt: „Ich weiß es, ich habe es verstanden“, „Ich habe verstanden, ich hätte es nicht tun sollen.“ „bei der Wahrheit Gottes“… Diese Sprache verfolgt das Ziel, die Leserschaft in den Bann zu ziehen, wirkt aber beizeiten auch hölzern und phrasenhaft. In der starken Bildersprache mit einigen mystischen Elementen verwendet Diop auch viele sexuelle Konnotationen: der Schützengraben wird beschrieben als übergroßes weibliches Geschlecht, das ihn aufnimmt, der Hauptmann „geht mit dem Krieg ins Bett“. In Verbindung mit den sich immer wiederholenden Sätzen und der Kürze des Buches führt auch die Eingängigkeit der Sprache dazu, dass man das Buch in einem Rutsch durchlesen kann – und verstört zurückbleibt. Leser*innen mit historischem Interesse oder Interesse an (Anti)-Kriegsromanen sei dieser Roman empfohlen.