Ein Spaziergang durch Lagos, Spannung und angehaltener Atem. So lässt sich das Erleben und Lesen der nigerianische Kurz-Krimis in Lagos Noir beschreiben. Sie sind teils nichts für schwache Nerven und lassen Lesende ein Wechselbad der Gefühle durchleben. Kreative Wendungen, die überraschen können und Spannung bei der manch eine Person am liebsten schon im Voraus das Ende lesen würde. Kurz, düster, durchdacht und intensiv ist Chris Abanis Auswahl an Kurzgeschichten in seinem 2018 veröffentlichten Sammelband. Der preisgekrönte Diaspora-Schriftsteller, versammelt kritische, sowie kreativ schreibende Stimmen nigerianischer Autor*innen, in dieser Fortsetzung der „Noir-Reihe“ des US-amerikanischen Verlags „Akashic Books“. Kennzeichen des „Noir-Genres“ sind Verbrechen, Spannung und ein Ermittler.
„Yet something troubled Sergant Gorewa. In fact, many things troubled him. How could a man escape the bullets from the war in his own country only to be killed by a knife in a strange land?” (S.188, The Walking Stick, Lagos Noir)
Menschen die an offenen oder nicht vorhersehbaren Enden Gefallen finden, sollten sich mit diesem Band der Serie vertraut machen. Er bringt Leser*innen im Laufe der Geschichten oft in Versuchung selber zu ermitteln. Rätsel zu lösen, bevor die Handlung sich dem Ende neigt. Nicht alle Geschichten, entsprechen allerdings den klassischen „Noir-Merkmalen“, was sie jedoch nicht weniger fesselnd werden lässt. Das Wenden der Seiten kann dem Lesepublikum oft nicht schnell genug gehen.
Nnedi Okorafors Werk Showlogo mangelt es, mit seiner allen Gefahren und Mächten trotzenden Hauptfigur, nicht an Spannung. Hierbei erinnert es jedoch mehr an eine Science-Fiction-Story, als an eine Kriminalgeschichte. Killer Ape von Chris Abani hingegen, sticht nicht nur durch den typischen Aufbau und die Verweise auf Sherlock Holmes hervor, sondern auch dadurch, dass der Beitrag zum Band, im Gegensatz zu den mehrheitlich in der Gegenwart situierten Geschichten, in Kolonialzeiten spielt. Im Vergleich, ist es Abanis Kurzgeschichte, welche den Merkmalen einer „Noir-Kriminalgeschichte“ am ehesten entspricht.
Was die Werke teilen ist politisch und gesellschaftskritisch. Sie bringen Lesende nahe an die Geschehen des Lebens in einer der bevölkerungsreichsten Metropolen des afrikanischen Kontinentes.
„His brother would be able to stay in school. His widowed mother would soon be able to retire from her petty trading. Things were on the up. “I did not come to Lagos to admire flyovers,” he told his mother.
“I mean business!”
(S.44, Heavens Gate, Lagos Noir)
Gelesen wird mit allen Sinnen und die ruhelose Atmosphäre der Stadt, wie sie Abani im Vorwort beschreibt, scheint zum Greifen nahe. Dieser Sammelband ist für all jene, die nicht vor etwas ungewöhnlicheren Krimis und starken Bildern zurückschrecken. Für Leser*innen, die gerne (kurz) ihrem eigenen Alltag entfliehen wollen, wird es ein ganz besonderes Geschenk sein, nach diesem Band gegriffen zu haben, denn getragen von Lagos Noirs Worten, können sie sich mühelos in den Straßen der Metropole verlieren. Im Hinterkopf sollte dabei trotz Allem behalten werden, dass es sich bei dem Band um eine Fortführung der kommerziell erfolgreichen „Noir-Reihe“ handelt und demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit Geschichten gewählt wurden, um zu gefallen. Inhalte sind unter Umständen mit dem Anspruch ausgewählt worden, für ein weltweites, insbesondere westlich geprägtes Publikum ansprechend zu sein. Die verschiedenen Texte sind durchaus gesellschaftskritisch, doch bleibt die Frage offen, ob nicht nur an der Oberfläche von vielfältigen Wahrheiten geschürft wurde.
Hätte es Geschichten mit noch kritischeren Stimmen gegeben, die nicht nur unter die Haut, sondern bis in die Knochen gehen? Wenn ja, wäre dieser Band vielleicht nicht nur gesellschaftskritisch und unterhaltsam, sondern auch ein Weckruf geworden.
Und trotzdem hat es Abanis Kollektion von Werken verschiedenster Autor*innen geschafft, dass die Bilder und Geschichten von Lagos Lesenden noch eine Weile im Gedächtnis bleiben.